Fachlernen und Sprache

Jedes fachliche Lernen hängt davon ab, dass sich die Lernenden die Fachinhalte sprachlich erschliessen kön­nen: Nur wer die im Fachunterricht vermittelten Infor­mationen zuhörend oder lesend versteht und nur wer fähig ist, sein Verständnis über diese Informationen an­ deren mündlich oder schriftlich mitzuteilen, kann fach­lich lernen bzw. sein Fachwissen zeigen. Sprachliche Kompetenzen sind also ein wesentlicher Faktor für Erfolg bzw. Misserfolg nicht nur im Fach «Sprache», sondern auch in den Sachfächern.

von Claudia Schmellentin und Hansjakob Schneider

Fachlehrpersonen und Lehrmittelentwickler/-innen gehen häufig davon aus, dass Schüler und Schülerinnen bereits über die vorausgesetzten sprachlichen Kompe­tenzen verfügen. Dies trifft – wie verschiedene Studien zeigen – auf viele Lernende nicht oder nur ansatzweise zu: So stellen beispielsweise schulische Sachtexte so hohe Anforderungen an die Lesekompetenzen der Schüler und Schülerinnen, dass viele aus den Texten kaum die nötigen Informationen gewinnen können. Hinzu kommt, dass vielen Schülern und Schülerinnen die Art, wie Sprache in der Schule verwendet wird, fremd ist. Dies betrifft vor allem Lernende aus bildungsfernen Familien. Soll also fachliches Lernen gelingen und damit die Teil­ habe an Bildung allen Lernenden ermöglicht werden, müssen Unterricht und auch Lehrmittel entsprechend sprachbewusst gestaltet sein. Das Nationalfondsprojekt «Textverstehen in naturwissenschaftlichen Schulfächern» (NawiText) und das durch die Bildungsdepartemente der Nordwestschweiz geförderte Entwicklungsprojekt «Fachlernen & Sprache» nehmen beide aus unterschied­licher Perspektive das Verhältnis von fachlichem Lernen und Sprache in den Blick. Sie versuchen damit einen spezifischen Beitrag zu sprachbewusstem Fachunter­richt zu leisten. Im Folgenden werden mit Fokus auf das Lesen im Fachunterricht Methoden zur sprachbewussten Gestaltung von Lesesequenzen gezeigt.

Leseprozess strukturieren Fachlernen und Sprache
Im Fachunterricht werden Texte eingesetzt, um Wissen zu erarbeiten oder zu repetieren. Da diese Texte aber für viele Schülerinnen und Schüler zu komplex sind, muss der Leseprozess didaktisch strukturiert werden.
Hier setzt die im Rahmen des Projektes Fachlernen und Sprache entwickelte Handreichung Sprachbewusst unterrichten – Eine Unterrichtshilfe für den Fachunter­richt (Lindauer u.a. 2013) an. Diese hat zum Ziel, Lehr­personen Hilfsmittel an die Hand zu geben, um die Schüler und Schülerinnen beim Lernen mittels Sprache zu unterstützen. Die Broschüre fokussiert die Frage, wie Schüler und Schülerinnen an Fachtexte herangeführt werden können. Dies ist aus folgenden Gründen nötig:


Abb: Anriss der Checkliste «Lesen informationsdichter Texte» aus der Handreichung «Sprachbewusst unterrichten – Eine Unterrichtshilfe für den Fachunterricht»

Schulische Fachtexte lassen sich nicht beliebig ver­einfachen, weil sich schwierige Sachverhalte nicht immer sprachlich einfach darstellen lassen. Zudem gehört zum fachlichen Lernen auch, dass die Schüler und Schüle­rinnen mit den in einem Fach üblichen sprachlichen Formen umgehen können und dass sie ihre fachspezi­fischen Sprachkompetenzen ausbauen.

Die Broschüre bietet den Lehrpersonen Checklisten an, die sie bei der Strukturierung von sprachlichen Se­quenzen im Fachunterricht unterstützen sollen. Die Um­setzung der Checklisten zum Lesen ist mit Aufgabenbei­ spielen illustriert.

Die vier Leseschritte
Eine wichtige didaktische Strukturierungshilfe ist es, den Leseprozess in 4 Leseschritte zu zerlegen und diese den Schülern und Schülerinnen bewusst zu machen:

  • Leseschritt 1: dem Text begegnen – Vorwissen aufbauen, Leseerwartung aufbauen, Ziele klären
  • Leseschritt 2: den Text bearbeiten – lokale Informationen gewinnen
  • Leseschritt 3: Textinhalte verarbeiten – Textinhalte miteinander verknüpfen
  • Leseschritt 4: Textverständnis überprüfen und mit Vorwissen in Verbindung bringen

Bei den 4 Leseschritten handelt es sich nicht um eine starre Abfolge oder um klar abgrenzbare Einzelschritte. Je geübter Leser und Leserinnen sind, umso stärker ver­schränken sich die Schritte. Die Strukturierung in die immer gleichen 4 Schritte hilft jedoch, den komplexen Leseprozess zu überschauen und mit der Zeit selbst zu strukturieren.

Die einzelnen Leseschritte fassen verschiedene Lese­handlungen oder Strategien zusammen. Diese sind in den Checklisten der Handreichung (vgl. Abbildung) in der linken Spalte aufgeführt. Betrachtet man die Schüler­handlungen in den Checklisten zum Lesen, zeigt sich, wie komplex Lesen bzw. das Entnehmen von Informationen aus Texten tatsächlich ist. Daher sind in der rechten Spalte Möglichkeiten angegeben, die die Schülerhandlungen anleiten sollen. Ein Beispiel wie das Lesever­stehen mittels Aufträgen und Fragen angeleitet werden kann, ist in der Praxisbeilage dieser Nummer zu finden. Der Leseprozess wird in der Praxisbeilage mit einem Arbeitsblatt angeleitet. Die Aufträge richten sich nach den 4 Leseschritten. Für die Entwicklung von Aufgaben kann man sich an 3 Typen von Fragen orientieren: Fragen zum Nachschauen, zum Verstehen und zum Nachdenken.

Aufträge zu Leseschritt 1
Zu Leseschritt 1 gehört, dass die Schüler und Schüle­rinnen eine Leseerwartung aufbauen können und dass sie wissen, welche Funktion der Text hat. In der Text­didaktisierung, die in der Praxisbeilage vorgestellt wird, ist dies wie folgt umgesetzt. Am Anfang des Arbeits­blattes wird in einer Synopse festgehalten, worum es beim Text im Kern geht. Zudem erfahren die Schüler und Schülerinnen, zu welchen Fragen sie im Text ant­worten finden sollen. Es ist wichtig, dass die Schüler und Schülerinnen von Anfang an auf die Kerninhalte des Textes fokussiert werden. Dies hilft ihnen, beim Erarbeiten der Textinhalte wesentliche von weniger relevan­ten Inhalten zu unterscheiden.
Danach werden die Schüler und Schülerinnen mittels Aufträgen angeleitet, die Struktur und Inhalte der Lehr­mitteldoppelseite zu überblicken.

Aufträge zu Leseschritt 2 Fragen zum Nachschauen
Nun beginnen die Schüler und Schülerinnen mit dem eigentlichen Lesen (vgl. Auftrag 1 zu Leseschritt 1, Praxisbeilage). Der Text wird abschnittweise bearbeitet. Nach einem gelesenen Abschnitt werden die komplexen Inhalte mittels Fragen zum Nachschauen bearbeitet. Die Fragen zum Nachschauen, die zum Leseschritt 2 gehören, lenken die Aufmerksamkeit auf relevante Informationen. Diese Fragen sollen daher mit dem Text bearbeitet werden. Sie bewirken, dass die Schüler und Schülerinnen wichtige Textstellen nochmals nachlesen. Da der Text, auf den sich die Praxisbeilage bezieht, sehr dicht an Informationen ist, nimmt dieser Leseschritt im gegebenen Beispiel sehr viel Zeit in Anspruch. Es ist aber durchaus möglich, hier noch weiter zu fokussieren und nicht alle Inhalte im Detail zu erarbeiten . In diesem Fall werden nur die Fragen bear­beitet, deren Inhalte fokussiert werden sollen.

Aufträge zu Leseschritt 3 – Fragen zum Verstehen
Nun sollen die Schüler und Schülerinnen mittels Auf­trägen und Fragen zum Verstehen Bezüge zwischen den lokal gewonnenen Textinhalten herstellen. Die Fragen zum Verstehen verlangen generell anspruchsvollere Ver­stehensprozesse als die Fragen zum Nachschauen. Lokal gewonnene Textinformationen müssen miteinander kombiniert, zusammenhänge erkannt und evtl. in eigenen Worten erklärt werden. So müssen die Schüler und Schü­lerinnen beispielsweise in Auftrag 3 zu Leseschritt 3 (vgl. Praxisbeilage) die Informationen aus einem Bild mit den Informationen der entsprechenden Textstelle verbinden.

Schreiben wirksam fördern. Lernarrangements und Unterrichtsentwicklung für alle Stufen

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