Rechtschreibung: Varianz und regelgeführte Variantenschreibung

Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat in diesem Frühjahr in einigen wenigen Bereichen Änderungen an der Rechtschreibreform vorgenommen.Diese haben teilweise zu neuen Problemen für die Schulen geführt. Im Folgenden sollen diese Schwierigkeiten etwas genauer beleuchtet und Hinweise darauf gegeben werden, wie mit diesen Problemen umgegangen werden kann.

von Thomas Lindauer und Afra Sturm

Insgesamt handelt es sich zwar nur um wenige Änderungen, das heisst, in den Schulen kann im Wesentlichen weiterhin so geschrieben, unterrichtet und korrigiert werden, wie in den letzten Jahren.2 Im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung und teilweise auch in der Gross- und Kleinschreibung führen die Änderungen jedoch dazu, dass es mehr Varianz gibt, das heisst, es sind nun öfter zwei Schreibungen erlaubt, was insbesondere fürs Korrigieren Probleme verursacht. An und für sich ist Varianz zumindest für Schreibende etwas Angenehmes: Ob sie nun kennen lernen getrennt oder zusammen schreiben – beides ist neu richtig. Für Korrigierende, zu denen insbesondere Lehrpersonen gehören, ist eine hohe Varianz jedoch eher hinderlich: Können auch wandern gehen, brennen lassen etc. sowohl getrennt als auch zusammengeschrieben werden oder gilt nur Getrenntschreibung, wie dies der Normalfall ist? Müssen nun Lehrpersonen jeden möglichen Fall im Wörterbuch nachschlagen?

Auf diesem Hintergrund hat der LCH gefordert, dass für die Schweizer Schulen Richtlinien im Umgang mit dieser Schreibvielfalt zu geben sind, da eine solch hohe Varianz weder lehr- noch lernbar sei. In der Folge erteilte die EDK dem Zentrum Lesen bzw. Afra Sturm, Claudia Schmellentin und Thomas Lindauer den Auftrag, linguistische und sprachdidaktisch gestützte Erläuterungen und Empfehlungen auszuarbeiten, die für die Schulen einen gangbaren Weg durch die Variantenvielfalt zeigen. Die Arbeit wurde begleitet von Peter Feller (ilz), Roman Looser (Gymnasiallehrer) und Max Müller (LCH). Begutachtet wurden die Vorschläge von Knut Stirnemann (Gymnasiallehrer und Deutschdidaktiker). Die Broschüre kann als PDF-Datei heruntergeladen oder als Print bestellt werden (www.edk.ch).

Klare Handlungsanweisungen vs. Prototypen

Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat sich vor allem im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung in seiner Regelformulierung nicht mehr vom Prinzip der möglichst leicht handhabbaren Regel leiten lassen, sondern orientiert sich neu an sogenannt prototypischen Schreibungen. Das heisst: Es gilt nicht mehr die generelle Regel «Verb + Verb werden getrennt geschrieben», sondern «in gewissen Fällen können zwei Verben auch zusammengeschrieben werden, dafür stehen prototypisch kennenlernen, spazierengehen». Dies illustriert auch das folgende Beispiel für die Schreibung von ‹Partikel + Verb›:

Leicht handhabbare Regel: Partikeln, die auf ‹einander-› oder ‹wärts-› enden, werden getrennt von einem folgenden Verb geschrieben.

Prototypischer Schreibhinweis, wie er im amtlichen Regelwerk unter §34 formuliert wurde: «Bei Zusammensetzungen liegt der Hauptakzent normalerweise auf der Verbpartikel […], während bei Wortgruppen das selbständige Adverb auch unbetont sein kann […]. Wenn das Betonungskriterium nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führt, hilft in manchen Fällen eine der folgenden Proben weiter: […]».

Formulierungen wie «normalerweise» und «in manchen Fällen» sind für die Schulen wenig hilfreich. Entsprechend sind die neuen Regeln der Getrennt- und Zusammenschreibung zu einem recht grossen Teil in den Volksschulen weder lehr- noch lernbar. Diese Bereiche wurden denn auch in der EDK-Handreichung als nicht vermittel- und korrigierbar ausgewiesen.

Die Orientierung am Prototypischen führt aber wie angesprochen auch zu mehr Varianz: Prototypisches unterliegt einer Interpretation, die unterschiedlich erfolgen kann. Dies zeigt sich bereits jetzt in den Wörterbüchern: Während etwa Duden nur «auseinanderentwickeln» anführt, hält Wahrig in diesem Fall sowohl Getrennt- als auch Zusammenschreibung für möglich.

In den Empfehlungen für die Schule und bei der Erstellung des Schülerdudens haben wir uns daher durch eine sogenannt regelorientierte Variantenführung leiten lassen. Das heisst: Dort, wo es im Rahmen der geltenden Orthografie möglich ist, Varianten mit einer leicht handhabbaren Regel zu reduzieren, wird diese Regel in den Schweizer Schulen gelehrt bzw. nach diesen Regeln geschrieben und korrigiert. So gilt z.B. grundsätzlich die Regel «Verb und Verb werden getrennt geschrieben», selbst wenn in gewissen Fällen zusammengeschrieben werden könnte. Da nach dem geltenden Regelwerk die Getrenntschreibung immer korrekt ist, liegt die oben aufgeführte Regel im Rahmen des Regelwerks und ist zudem leicht handhab- und vermittelbar. Im Schülerduden ist in diesen Fällen entsprechend nur die Getrenntschreibung aufgeführt.

Dort, wo keine regelorientierteVariantenführung möglich ist, muss die Schreibung frei gegeben werden: Dies betrifft weitgehend die Schreibung von Partikel und Verb. Im Schülerduden wird in diesen Fällen die Getrennt- und Zusammenschreibung aufgeführt (z.B. «auseinander gehen oder auseinandergehen»).

Varianz und Korrektur

Wie soll man sich bei der Korrektur verhalten, wenn zwei Varianten möglich sind? Auf den ersten Blick scheint klar: Wo zwei Schreibungen vom amtlichen Regelwerk erlaubt sind, muss man bei der Korrektur auch beide Schreibungen zulassen. Dies würde aber für Lehrpersonen bedeuten, dass sie immer wissen müssten, in welchen Fällen zwei Schreibungen möglich sind. Da in gewissen Fällen nicht einmal die professionellen Wörterbuchverlage zu gleichen Ergebnissen kommen, stellt dies wohl für die meisten Lehrpersonen eine Überforderung dar. Verschärft wird dieses Problem noch dadurch, dass es einerseits Empfehlungen der EDK für die Schulen gibt und dass andererseits auch die Presse und die Buchverlage meist nur eine Variante pflegen. Uns scheint es daher sinnvoll, dass in den Volksschulen nicht Varianz gelehrt und korrigiert wird, sondern die Kernbereiche der Rechtschreibung mithilfe von möglichst einfach handhabbaren Regeln vermittelt werden und dass auch entsprechend diesen Regeln korrigiert wird.

Eine solche Haltung gegenüber Variantenschreibungen findet in der Schweiz breite Akzeptanz bei Fremdwörtern aus den Landessprachen Französisch und Italienisch. So werden guten Gewissens und sinnvollerweise Schreibungen wie Spagetti oder Krem auf Spaghetti bzw. Creme korrigiert, auch wenn die eingedeutschten Schreibungen durch das amtliche Regelwerk explizit legitimiert sind. Und sogar in einem Fall wie Couvert wird man wohl weiterhin diese Schreibweise akzeptieren wollen, auch wenn sie vom amtlichen Regelwerk gerade nicht mehr zugelassen wird, sondern nur die Schreibung Kuvert.

Ein solcher Umgang mit Varianz ist auch in anderen Bereichen möglich und sinnvoll; das gilt insbesondere für den Bereich Getrennt- und Zusammenschreibung und für Teile der Gross- und Kleinschreibung: Im Sinne einer Stärkung des (Regel-)Lernens können an sich zulässige Varianten in diesen für Volksschüler und -schülerinnen ohnehin nur schwer bewältigbaren Bereichen mit Bezug auf die vermittelten Regeln korrigiert werden. Dies entsprechend der lernpsychologischen Forderung: Schreibende sollen erfahren, dass Rechtschreibung vor allem etwas Reguläres ist, das erworben werden kann; Varianten verwirren da nur.

Damit wird auch die Korrekturarbeit der Lehrpersonen einfacher: Wenn sie sich bei der Korrektur an handhabbare Rechtschreibregeln halten können, ohne in jedem Zweifels- und Variantenfall ein Wörterbuch zuhilfe nehmen zu müssen, spart das viel Zeit.
Wie auch immer man sich in dieser Frage positionieren will, uns scheint es allemal sinnvoll, dass für die Schulen möglichst klare Rechtschreibregeln gelten, die sowohl lehr- wie auch lernbar sind.

Wir haben daher versucht, in der Variantenvielfalt einen Weg der regelorientierten Variantenführung zu weisen. Zudem haben wir Hinweise darauf gegeben, welche Rechtschreibbereiche für welche Schulstufe überhaupt relevant sind (vgl. EDK-Broschüre S. 42–49). Dabei haben wir uns von Regeln leiten lassen, die zumindest für Volksschullehrer und -lehrerinnen, wenn nicht gar für Schüler und Schülerinnen versteh- und lernbar sind.

Die Namen aller Mitglieder können auf der Website des Rates eingesehen werden: www.rechtschreibrat.com
Vgl. die EDK-Stellungnahme vom 22.6.2006 auf: www.edk.ch Aktuelles –Pressemitteilungen

Schreiben wirksam fördern. Lernarrangements und Unterrichtsentwicklung für alle Stufen

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