Es ist nicht nur der Text zu lesen – Infografiken

Um Informationsgrafiken «lesen» zu können, brauchen Schülerinnen und Schüler grundsätzlich keine neuen Fertigkeiten, doch es ist von Bedeutung, dass sie verschiedene Rezeptionstechniken miteinander verbinden können. Das «Lesen» solcher Darstellungen ist vielseitig und vielschichtig.

von Thomas Sommer

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Die auffälligen Initialen der Wiegendrucke (Inkunabeln) in den Anfängen des Buchdrucks bedienten wohl in erster Linie das ästhetische Empfinden der Lesenden. Die aufwändig gestalteten Bilder in den Chroniken der damaligen Schriftwerke wollten hingegen auch schon informieren. Es war ein höchst anspruchsvolles Unterfangen, ein mehrtägiges Schlachtgetümmel in einem Bild zu fixieren und derart viele Informationen auf einem Blatt grafisch abzubilden.

Nebst Zeichnungen wurden den Texten früh schon Karten, Plan- und Detailskizzen hinzugefügt. Später kamen Fotografien hinzu. Als Informationsgrafik oder kurz Infografik bezeichnet man heute eine Mischform verschiedener Text- und Bildelemente, die in Abbildungen gefasst werden und möglichst knapp Fakten anschaulich darstellen wollen. Es sind visuelle Repräsentationen von (meist komplexen) Gesamtzusammenhängen in einer bildhaften Form. Infografiken in den visuellen Medien werden zunehmend auch animiert und am Computer sogar interaktiv ausgestaltet. Manchmal liegen sie damit näher an einem dynamischen Film als bei einem statischen Bild.

Grosse Medienhäuser beschäftigen heute neben den klassischen Text- und Bildjournalisten und -journalistinnen mehr und mehr auch spezielle Teams aus den Bereichen Illustration, Grafik und Webdesign, die sich diesem neuen Format der Informationsgrafik widmen. Dabei werden in einem solchen Team nicht nur gestalterische Fähigkeiten verlangt. Bildelemente, animierte Passagen und die Texte gehören zusammen und werden miteinander dramaturgisch so verwoben, dass sie als Ganzes möglichst präzise von der «Sache erzählen». Bei den grossen Presseagenturen wie Agence France Presse AFP oder Reuters zählen die neuen Formate genauso zum Angebot wie die schriftlichen Agenturmeldungen oder die Fotografien.

In der Schule ist das Verbinden von Informationen und grafischen Elementen als Darstellungsform nichts Neues. Das farbige und grossformatige Wandtafelbild mag vielleicht etwas aus der Mode geraten sein, aber auch das ist eine Infografik. Und die in den Schul- oder Lehrbüchern seit jeher verbreiteten Schaubilder, Diagramme und Abbildungsreihen gehören genauso dazu. Hier sind sorgfältig aufbereitete Grafiken und Informationen miteinander verbunden. Fasst man den Begriff etwas weiter, so können auch die historischen Wandkarten oder gar die alten Schulwandbilder dazugezählt werden. Den Schülerinnen und Schülern sind natürlich auch viele andere Formen bekannt, die uns im Alltag begegnen. Beispielsweise die animierten Wetterkarten am Fernsehen, die grafische Zusammenfassung von Kurzbeiträgen in der Tagesschau, die Darstellung von Wahlresultaten oder die interaktiven Flash-Grafiken auf den Seiten der grossen Nachrichtenmagazine und Zeitungen im Internet.

Um Informationsgrafiken «lesen» zu können, brauchen Schülerinnen und Schüler grundsätzlich keine neuen Fertigkeiten, doch es ist von Bedeutung, dass sie verschiedene Rezeptionstechniken miteinander verbinden können. Das «Lesen» solcher Darstellungen ist vielseitig und vielschichtig.

Einmal sind Bildinformationen mit Textstellen zu verknüpfen, ein andermal steht eine Landkarte in Verbindung mit einer Zahlenreihe oder es müssen zwei unterschiedliche Diagrammformen zueinander in Beziehung gebracht oder gar miteinander verrechnet werden. Stilisierte Abbildungen stehen neben konkreten Fotografien, statische Bilder neben animierten Grafiken oder kurzen Filmen. Farben dienen einmal schlicht der Ästhetik und eröffnen ein anderes Mal neue Kategorien des Inhalts.Die Bildrahmen und die dargestellten Objekte sind oft in mehreren Ebenen aufgebaut. Sind die einzelnen Sequenzen in der einen Grafik in beliebiger Reihenfolge frei durchklickbar, stehen sie am andern Ort in einer zwingenden zeitlichen oder logischen Abfolge.

Informationsgrafiken sind so konzipiert, dass sie vereinfachen und den Inhalt für die «Lesenden» schnell fassbar machen. Durch diesen Reduktionsvorgang gehen auch Informationen verloren. Fehlt das entsprechende Vorwissen, kann dabei die Verstehensleistung, insbesondere von Schülerinnen und Schülern, auch be- oder verhindert werden. Andererseits kann ein relativ schwieriger Text im Prozess des Heranführens über Bilder und Grafiken inhaltlich gerade erst fassbar gemacht werden.

Die Verlässlichkeit der Quellen ist ebenfalls zu beurteilen und es ist folglich gut zu wissen, woher die Infografik kommt. Ist es eine nach journalistischen Grundsätzen entwickelte Darstellung einer grossen Presseagentur, die andern Medien zum Kauf angeboten wird, oder ist es etwa eine Auftragsarbeit eines grossen Stromerzeugers für die eigene Website? Kann bei der ersten eine relativ neutrale, objektive Sicht erwartet werden, darf das bei einer Auftragsarbeit nicht einfach vorausgesetzt werden und ein entsprechend genaueres Hinsehen ist zwingend.

All das, und die Aufzählung ist bei weitem nicht vollständig, muss am Schluss als Ganzes «gelesen», beurteilt und verstanden werden. Ein komplexer Vorgang also, der auch geübt sein will.

 

Im Folgenden sind ein paar Ideen zu aufbauenden Übungen mit Infografiken skizziert und auf der Website unter www.zentrumlesen.ch/publikationen > Rundschreiben sind Materialien als Download verfügbar:

– Verschiedene grafische Darstellungen in Presse- und Werbeprodukten, aus Lexika, Schul- und Lehrbüchern sammeln lassen; diese Grafiken dann unter verschiedenen Gesichtspunkten ordnen und gruppieren (nach vorgegeben Kriterien zuordnen oder die Schülerinnen und Schüler die Kriterien selber entwickeln lassen)

– Einfachere Grafiken in Worte fassen lassen und durch einen kurzen Text ersetzen

– Komplexe Grafiken (auf mehreren Ebenen) zu einem einfachen Sachtext (oder auch mehreren) zusammenfassen

– Unkommentierte Zeichnungen, Fotografien oder Grafiken mit eigenen Textkästen überhaupt erst zu Infografiken machen (physisch mit Papier, Schere und Stift direkt aufs Bild oder dann elektronisch am Computer in Word oder einem Zeichenprogramm)

– Kleine Poster oder Plakate gestalten; Sachposter zu verschiedenen Themen aus Natur und Technik nach dem Beispiel von einschlägigen Sachbüchern gestalten

– Zahlenmaterial aus statistischen Jahrbüchern grafisch umsetzen und durch illustrierende Zeichnungen ergänzen

– Zu animierten Flashgrafiken das dahinter stehende «Mini-Drehbuch» verfassen; einfache, notizartige Auflistung des Bilderlaufs mit inhaltlichen Zuordnungen

– Animierte Flashgrafiken als Text zusammenfassen

– Infografiken im Stile einer Tagesschausprecherin, eines Nachrichtensprechers mündlich kommentieren

– …

 

Einige Webseiten mit animierten Infografiken:
http://www.focus.de > Interaktive Infografik als Suchwort eingeben
http://www.20min.ch/news/dossier/grafik/
http://www.stern.de/alle_infografiken.html
http://www.strom-online.ch/

Zwei Presseagenturen, die Infografiken produzieren:
http://www.afp.com/deutsch/home/
http://about.reuters.com/media/graphics/interactivegraphics.aspx

Übersichtsseite eines kommerziellen Anbieters:
http://www.infografik.biz/index.html

«Infografik zum Klimawandel aus dem Webportal «Süddeutsche Zeitung» www.sueddeutsche.de»

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