Vince Vawter: Wörter auf Papier

Die Geschichte spielt in Memphis, im Jahre 1959. Hauptperson ist Victor, im Baseball der beste Werfer aller Zeiten. Victor ist überaus klug. Nur wenn er den Mund aufmacht, meinen ganz viele Leute, er sei nicht ganz klar im Kopf. Victor stottert. Meist redet er deshalb gar nicht. Nur bei Mam, seiner schwarzen Nanny, da traut er sich. Sie umsorgt ihn seit er denken kann, ihr vertraut er sich immer wieder an. Victor will nun aber unabhängiger und selbständiger werden. Aus diesem Grund nimmt er einen Job als Zeitungsausträger an. Reden muss er da nicht viel, nur Zeitungen werfen und das kann er ja bestens. Ausser an den Freitagen, da sind Kassiertage. Victor übt die nötigen Sätze vorher, er wendet all seine Tricks an. Vermeidet Wörter, die mit einem P oder B beginnen, weil er diese Buchstaben kaum aussprechen kann. Beginnt alle Sätze mit einem kurzen s-s-s, dann geht das Reden ein ganz klein wenig leichter. Trotzdem wird seine Runde jeden Freitag zur Tortur. Nur bei Mr. Spiro, da ist es anders. Mr. Spiro spricht ihn auf sein Stottern an. Mr. Spiro bringt ihm etwas zu trinken. Mr. Spiro hat Zeit, das vor allem. Allmählich entwickelt sich zwischen dem alten ulkigen, aber sehr belesenen Mr. Spiro und Victor eine ganz spezielle Freundschaft. Mr. Spiro ist es zudem, der Victor beibringt, dass man sich auch anders als mit Sprechen ausdrücken kann. Mit Schreiben zum Beispiel.

Dieser Roman von Vince Vawter berührt sehr. Es ist vor allem Victor, der Lesende ganz nah an sich heranlässt. Man versteht seinen Kummer, man fühlt mit und weiss plötzlich wenigstens ansatzweise, was es heisst, wenn man sich sprachlich nicht ausdrücken kann. Wie es ist, wenn sich Worte und Gedanken stauen, weil man sie einfach nicht loswerden kann. Wie gut, dass Victor die alte Schreibmaschine hat, wie tröstend, dass er Mam und Mr. Spiro um sich weiss, die ihn verstehen, auch ohne grosse Worte. Der Autor erzählt in diesem Buch von seiner eigenen Kindheit. Er ist um diese Zeit in den Südstaaten aufgewachsen und ist selbst Stotterer, seit über 60 Jahren. Die berührende Geschichte, die Figuren, die Sprache und die feinen Zwischentöne, das alles macht dieses Buch in jeder Hinsicht zu einem ganz besonderen Buch, dem man möglichst viele Leserinnen und Leser wünscht. Für Jugendliche und Erwachsene.

Vince Vawter: Wörter auf Papier. Königskinder Verlag bei Carlsen 2014. ISBN 978-3-551-56001-8

Rezension: Maria Riss

Christopher Paul Curtis: Die Watsons fahren nach Birmingham – 1963

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