Jacqueline Woodson: Eine Weile bleibt die Zeit für uns stehen

Zuerst einmal ist dieser Roman eine wunderschöne, zarte Liebesgeschichte, auch wenn diese traurig endet. Ellie, gerade 15 Jahre alt geworden, tritt neu in eine teure Privatschule ein. Schon am ersten Tag stösst sie in ihrer Aufregung mit einem Jungen zusammen. Es ist Jeremiah, der ebenfalls neu an diese Schule gewechselt hat. Schon bei dieser ersten Begegnung spüren beide, dass sie voneinander fasziniert sind und als Jeremiah in Geschichte ausgerechnet den Platz neben Ellie besetzt, beginnen sich die beiden anzunähern. Bald verbringen sie jede freie Minute zusammen. Noch nie konnte Ellie so unbeschwert mit jemandem reden. Dieses Gefühl von Nähe und unbeschreiblicher Zärtlichkeit für einen anderen Menschen hat auch Jeremiah bis jetzt nicht gekannt. Die zwei erleben einmalig schöne Tage zusammen. Ihrer Liebe sollte eigentlich nichts im Wege stehen. Beide stammen aus gutem Haus. Ellie ist die Tochter eines Arztes, Jeremiah der Sohn eines berühmten Regisseurs und einer bekannten Schriftstellerin. Es gibt nur ein Problem: Jeremiah ist Schwarz. Wenn sie zusammen sind, werden die beiden zwar nicht wirklich angegriffen, es gibt aber oft versteckte Botschaften, Bemerkungen und kritische Blicke, die verletzen. Es ist auch Ellies Angst, Jeremiah ihren Eltern vorzustellen, weil sie sehr unsicher ist, wie diese reagieren werden. Es ist die Tatsache, dass Jeremiah in gewissen Gegenden auffällt und sich unter keinen Umständen schnell bewegen sollte, zu oft schon wurden Schwarze junge Männer bedroht oder von Polizisten grundlos verhaftet. In solchen Stadtteilen macht sich Jeremiah am besten unsichtbar. Es sind die Mitschüler:innen, die überzeugt sind, dass Jeremiah aus ärmlichen Verhältnissen kommt und diese Privatschule nur dank eines Stipendiums besuchen kann. Es ist dieser kleine schwelende Rassismus, der die beiden ständig begleitet und den die Autorin so treffend beschreibt. Dies führt auch dazu, dass beim Lesen eigene leicht rassistische Denkmuster entlarvt werden. Gleichzeitig fängt die Autorin gekonnt, sehr genau und mit starken Bildern die beiden Liebenden ein und lässt Lesende an deren berührender Geschichte teilhaben. Leider endet die Geschichte nicht mit einem Happy End, denn Jeremiah vergisst ein einziges Mal Vaters Rat: In weissen Gegenden darfst du niemals rennen.
Jacqueline Woodson zählt zu den bedeutendsten Jugendbuchautorinnen der USA, ihre Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet. Das vorliegende Buch ist ein eindringlich geschriebenes, berührendes Buch für Jugendliche.

Jacqueline Woodson: Eine Weile bleibt die Zeit für uns stehen. Aus dem Amerikanischen von Eva Riekert. Cbj 2023. ISBN: 978-3-570-16667-3

Rezension: Maria Riss

Zurück zur Übersicht