Davide Morosinotto: Verloren in Eis und Schnee

Die Tagebucheintragungen der Zwillinge Nadja und Viktor beginnen in Leningrad, am 23. Juni 1941. Die deutsche Front nähert sich und alle Kinder der Stadt müssen sich am Bahnhof einfinden, um evakuiert zu werden. Vor der Abreise muss Viktor seinem Vater versprechen, immer bei seiner Schwester Nadja zu bleiben und gut auf sie aufzupassen. Aber schon bei der Aufteilung der vielen Kinder auf die hereinfahrenden Züge werden die Zwillinge getrennt. Viktor landet im Zug Nr. 77 und wird in eine Kolchose in Tatarstan gebracht. Nadjas Zug kommt nicht weit, die Lokomotive bleibt bereits nach rund 70 Kilometern stecken. Nadja und all die andern Kinder aus dem Zug werden in ein nahegelgenes Dorf gebracht, das schon kurze Zeit später von den Deutschen eingenommen wird. Nadja gelingt die Flucht und sie rettet sich auf die Inselfestung Oreschek im riesigen Ladoga-See. Diese Festung ist noch immer in russischer Hand, wird aber ständig beschossen und bombardiert. Nicht erst hier entpuppt sich Nadja als überaus mutiges Mädchen. Die Zwillinge waren noch nie voneinander getrennt, beide sehnen sich schrecklich nacheinander und deshalb will Viktor seine Schwester um alles in der Welt wiederfinden, auch weil er dies seinen Eltern verspochen hat. Nichts kann ihn dabei aufhalten. Er flieht aus der Kolchose, wird gefangen genommen, reisst aus, kämpft sich, zusammen mit ein paar Kameraden, über mehrere hundert Kilometer durch Eis und Schnee, überlistet die Truppen an der Front und gelangt schliesslich in einem gestohlenen Lastwagen über den mittlerweile zugefrorenen See zur Festung Oreschek, wo er seine geliebte Schwester Nadja lebend wiederfindet.
Die Geschichte wird von Nadja und Viktor in Tagebucheinträgen erzählt, beide sind mit zahlreichen Fotografien, Zeitungsausschnitten und Karten ergänzt. Der Autor hat sich über weite Strecken an historischen Fakten gehalten, die Geschichte der beiden Geschwister ist aber frei erfunden. Was die beiden erleben und vor allem, was sie beim Kampf ums Überleben unternehmen, erinnert hier und da an ein Heldenepos, es macht dieses Buch aber unglaublich spannend. Oft geht der Autor an die Grenze des Beschreibbaren, er tut dies aber behutsam und geht öfters auf eine gewisse Distanz. Trotzdem erlebt man beim Lesen sehr eindringlich mit, wie schrecklich dieser Krieg war und wie Hunger, Kälte, Gewalt und Angst Menschen verändern können. Vergangenes darf nicht in Vergessenheit geraten, weil sich Geschichte immer wiederholt, so die klare Botschaft dieser so eindringlich verfassten Erzählung. Der grosse Spannungsbogen, das fundiert recherchierte Hintergrundwissen und die wunderschöne, spezielle Aufmachung, all dies kann hoffentlich viele jugendliche Leserinnen und Leser zum Lesen dieses Buches verlocken.

Davide Morosinotto: Verloren in Eis und Schnee. Die unglaubliche Geschichte der Geschwister Danilow. Aus dem Italienischen von Cornelia Panzacchi. Thienemann 2018. ISBN: 978-3-522-20251-0

Rezension: Maria Riss

 

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