Buch des Monats November 2025

Davide Morosinotto: Greta Grimaldi und der Junge aus dem Schatten
Der neuste Jugendroman des beliebten italienischen Autors nimmt Lesende mit auf eine Zeitreise nach Nürnberg ins Jahr 1829. Das Gewusel auf von Kutschen befahrenen Strassen, die mit Öllampen ausgeleuchteten Schankstuben und beeindruckenden Barockbauten in der Altstadt werden so anschaulich beschrieben, dass man ab der ersten Seite mühelos ins Geschehen eintaucht. Mitten in diesem städtischen Treiben begegnen Leser:innen zum ersten Mal den beiden Protagonisten: dem vornehmen Doktor Grimaldi und seiner schüchternen, vierzehnjährigen Tochter Greta. Doktor Grimaldi gilt als Genie im Lösen ungeklärter Delikte. Aus diesem Grund benötigt der Nürnberger Bürgermeister dringend dessen Dienste: Er soll aufklären, wer einem der berühmtesten Bürger der Stadt Morddrohungen schickt. Grimaldi nimmt den Auftrag an und begibt sich auf Spurensuche: Wer will Kaspar Hauser umbringen? Morosinotto verwebt in «Greta Grimaldi» Historisches mit Fiktivem geschickt zu einem stimmigen Gesamtwerk. Die Existenz einiger Romanfiguren ist belegt, andere – wie die beiden Hauptcharaktere – wurden erfunden. Am besten dokumentiert ist das Leben des Empfängers der Morddrohungen. Als Jugendlicher taucht Kaspar Hauser aus dem Nichts in Nürnberg auf. Er ist der «Junge aus dem Schatten». Schnell wird Kaspar zu einer Berühmtheit: Ständig ist er Inhalt von Zeitungsartikeln und Stadtgesprächen. Von seinem plötzlichen Ruhm wollen einige ein Stückchen abhaben. Doktor Grimaldi steht zwar im Mittelpunkt der Ermittlungen, indem er die Befragungen führt und mit der Öffentlichkeit kommuniziert, doch es ist seine Tochter Greta, welche das Mysterium um die Morddrohungen Stück für Stück entschlüsselt. Auf der Suche nach Antworten streift sie allein durch die verwinkelten Gassen Nürnbergs, protokolliert feinsäuberlich Gespräche und fügt ihre Erkenntnisse wie Teile eines Puzzles zusammen.
Nach der Klärung und der damit einhergehenden Erfüllung des Auftrags reisen Doktor Grimaldi und Greta zurück in ihre Heimat. Als Greta vier Jahre später von Kaspars Ermordung durch ein angebliches Attentat erfährt, reist sie als junge Frau zurück nach Nürnberg. Sie enttarnt zwar den Mörder Kaspars, doch die alles entscheidende Frage bleibt – entsprechend dem historischen Fall – am Ende des Romans ungeklärt: Wer war Kaspar Hauser?
Greta ist eine vielschichtige Protagonistin: In einer lauten Welt ist sie, trotz all ihrer Selbstzweifel, auf eine leise Art mutig und kämpferisch. Der Roman zeigt auf, wie wichtig es ist, dass es sie gibt: die Gretas dieser Welt. Jene, die kritisch bleiben, wenn andere sich bereits zufrieden abwenden, Details wahrnehmen, die anderen entgehen und die ruhig zuhören können. Dieses Buch ist ein Geschenk für alle jugendlichen und erwachsenen Leserinnen und Leser, die detailreiche Schilderungen mögen, die es lieben, in eine vergangene Zeit einzutauchen und sich selbst auf die Spurensuche eines zweihundertjährigen Rätsels begeben wollen. Die ansprechende Gestaltung mit Abbildungen aus dem Stadtarchiv Nürnberg unterstützen die dunkle, rätselhafte Wirkung der Handlung. Davide Morosinottos «Greta Grimaldi» ist mehr als ein spannender Detektivroman: Es ist eine von jenen Geschichten, die einen bis zur letzten Seite – und darüber hinaus – nicht loslässt. Ab 12 Jahren. 263 Seiten.

Davide Morosinotto: Greta Grimaldi und der Junge aus dem Schatten. Aus dem Italienischen von Cornelia Panzacchi. Thienemann 2025. ISBN    978 3 522 20314 2

Rezension: Laura Koch

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