Buch des Monats April 2022

Gulraiz Sharif: Ey hör mal!
Der 15-jährige Mahmoud ist Pakistani. Er lebt zusammen mit seinen Eltern und dem jüngeren Bruder im Plattenbau-Viertel von Oslo. Er ist einer, der es unbedingt an die Uni schaffen will und einer, der oft und gern über das Leben nachdenkt. Es ist Sommer und die norwegischen Norweger verreisen alle in die Ferien, aber was machen mittellose Ausländer in dieser Zeit? Sie spielen Fremdenführer. Mahmouds Onkel aus Pakistan kommt nämlich zu Besuch und Mahmoud, der soll seinem Verwandten die Stadt zeigen. Oft kommt der Onkel aus dem Staunen gar nicht mehr heraus: Nicht nur das Essen, auch die gängigen Werte und Sitten sind hier so komplett anders und fremdartig. Daheim läuft es momentan eigentlich gut, bis der kleine Bruder Ali beichtet, dass er viel lieber ein Mädchen wäre. Die Familie droht auseinanderzubrechen, vor allem Mahmouds Vater kann mit dieser Situation überhaupt nicht umgehen. Was denkt die Verwandtschaft, was die pakistanischen Freunde? Aber dann ist es die meist stille Mama, die plötzlich zur «Tigermutter» wird und sich vor ihre Söhne und gegen die strengen patriarchalischen Regeln stellt. Sie überzeugt den strengen Vater, der immerzu alle dazu auffordert, den Rücken gerade zu halten, seinen eigenen Rücken jetzt zu beugen und die Gefühle für Mahmoud und Ali wichtiger zu nehmen als alle Regeln und Normen. Am Schluss schliesst er seine beiden Söhne in die Arme, weil er sie über alles lieb hat, weil er für sie alles hergeben würde und weil es im Grunde egal ist, ob sie als Jungen oder Mädchen durchs Leben gehen.
Was dieses Buch von andern unterscheidet, ist die Sprache. Fetzig, stellenweise schnoddrig, voller Spott und Ironie erzählt Mahmoud diese Geschichte. Er ist ein sehr genauer Beobachter, stellt nicht nur den oft laxen Umgang norwegischer Eltern mit ihren Kindern in Frage, er spottet genauso gegen die Engstirnigkeit von «Kanakenfamilien». Immer wieder ist diese Geschichte komisch, aberwitzig frech und liebevoll berührend. Mahmoud berichtet von seinem Schlingern zwischen den beiden Kulturen, aber auch von seiner grossen zärtlichen Liebe zum kleinen Bruder. Gulraiz Sharif ist selber Lehrer und weiss, wie Jugendliche reden und was sie umtreibt. Mit diesem Roman ist ihm ein aussergewöhnlicher und grandioser Wurf geglückt, er sei Jugendlichen und Erwachsenen wärmstens empfohlen.

Gulraiz Sharif: Ey hör mal! Aus dem Norwegischen von Meike Blatzheim und Sarah Onkels. Arctis 2022. ISBN: 978-3-03880-054-5

Rezension: Maria Riss

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