HS22 – Wohnen in Basler Gärten

Wohnkultur

Wenn wir uns im zweiten Jahr des Architekturstudiums mit dem Wohnungsbau beschäftigen, so kommen wir nicht umhin, uns zunächst mit der Kultur des Wohnens zu beschäftigen. Unsere Vorstellungen von Wohnen sind natürlich auch vom Zeitgeist geprägt, sie gründen aber vor allem tief in den existentiellen Erfahrungen des Menschseins. Und das Wohnen ist direkt und unmittelbar mit dem menschlichen Körper verbunden. Der gute Stuhl unterscheidet sich vom schlechten durch den Respekt, den er Mass und Proportion entgegenbringt.

 

Vorübung

Als Einstieg setzen wir uns mit dem räumlichen Potenzial einer Konstruktion aus beschränkten Mitteln auseinander. Aus den abgegebenen Materialien soll ein Raum oder räumliches Gebilde als Modell entwickelt werden. Wie lassen sich die Teile kombinieren, wie verhalten sie sich dabei zueinander und was bedeutet dies für den Raum?

 

Semesterarbeit

Für kleinere Wohnbauten mit wenigen Geschossen eignet sich der Holzbau für das Tragwerk ausgezeichnet. Die relativ geringen Spannweiten, die im Wohnungsbau verlangt sind, und die eher kleinteiligen Raumsequenzen können einfach umgesetzt werden. Zudem sprechen auch die ökologischen Anforderungen und die bauphysikalischen Eigenschaften für den Holzbau. Und schliesslich sind es auch die stimmungsmässigen und bildhaften Qualitäten des Holzbaus, die ihn für diese Aufgabe prädestinieren. Doch Holzbau ist nicht Holzbau: Zwischen dem traditionellen Zimmermannsbau und den zeitgenössischen Hybridkonstruktionen spannt sich eine grosse Vielfalt an Möglichkeiten auf, die wir in diesem Semester erkunden wollen.

Als zweite Fragestellung wollen wir den Raumbeziehungen nachgehen, die wir innerhalb des Gebäudes und innerhalb des Gartens entwerfen. Der Garten soll explizit als integrierter Bestandteil dieses Raumkontinuums entworfen werden. Türen, Fenster, Balkone, Veranden, Loggien und Terrassen bilden die Gelegenheiten, auch den Übergang zwischen innen und aussen bewusst zu gestalten.

Die fiktiven Bauplätze, die wir ausgewählt haben, sind deshalb baumbestandene Gärten, die ein Wohnhaus für einen emeritierten Architekturlehrer und seine Familie aufnehmen sollen. Der Entwurf dieses Hauses bietet uns die willkommene Gelegenheit, unbeschwert über Raum- und Nutzungskonstellationen nachzudenken, mit Materialien und Farben zu experimentieren und die Innen- und Aussenräume in einer intensiven Beziehung zueinander zu entwickeln.

Über einem bestehenden Kellergeschoss soll ein Holzhaus errichtet werden. Dadurch bleibt der Garten von Aushubarbeiten verschont und das Haus kann auch nahe an die Bäume gerückt werden. Mehrgeschossige Lösungen sind möglich, sie müssen aber auch im fortgeschrittenen Alter gut bewohnt und bewirtschaftet werden können. Anstelle eines Raumprogramms wird eine Liste mit Möbeln abgegeben, die unbedingt platziert werden müssen. Warum diese Möbel wichtig sind und wie sie genutzt werden, wird vom Bauherrn erklärt. Neue Möbel sind so zu wählen, dass sie mit dem Bestand in einen Dialog treten.

 

Grundlagen

Der Wohnungsbau wird mit Vorträgen und Lektüre (Selbststudium) thematisch eingeführt. Von den Studierenden wird erwartet, dass sie sich im Laufe des Semesters mit dem Wohnungsbau nicht nur projektbezogen sondern auch mit einem breiten Blick befassen.

 

Textheft

Die Begleittexte zum Entwurf dienen euch während dem Semester als Inspiration und Hilfe eure Ideen zu entwickeln. Es wird von euch erwartet, dass ihr die Texte während des Semesters lest. Bei inhaltlichen Fragen stehen Euch die Assistierenden zur Verfügung.

 

Atelierbetrieb

Das Atelier bietet nicht nur persönliche Arbeitstische für alle Studierenden an, es ist auch Ort des Austauschs und der Begegnung. Von den Studierenden wird deshalb erwartet, dass sie im Atelier anwesend sind.

Die Assistierenden betreuen jeweils 11-12 Studierende. Der Dienstag beginnt um 09.00h mit einer Vorlesung, danach finden die Tischkritiken statt. Die Studierenden bereiten sich darauf vor und bringen alle relevanten Skizzen, Pläne und Modelle mit. Am Mittwoch finden weitere Veranstaltungen statt. Um 17.00h gibt der Dozent ein Feedback über die Entwicklung der Projekte.

 

Tessin

Der Tessin ist geprägt von seiner charakteristischen voralpinen Landschaft. Von den Bergen erstrecken sich seine abgelegenen Täler mit ihren bewaldeten, steilen Hängen bis zu den Seen im Übergang zur Po-Ebene. Diese markante Topografie, das lokale Klima und die geografische Lage an den Alpenübergängen haben das Bauen im Tessin stets beeinflusst.Bis ins 20. Jahrhundert überwog eine rurale Bautradition, die erst durch den Bauboom der 60er Jahre verdrängt wurde. Aus der kritischen Auseinandersetzung mit diesem Prozess und der damit einhergehenden Zersiedlung entstand eine neue Architekturströmung des kritischen Regionalismus, die sogenannten «Tendenza», deren selbstbewusste Bauten internationale Beachtung fanden und bis heute einen wichtigen Referenzpunkt für das zeitgenössische Architekturschaffen im Tessin darstellen.

Auf unserer Exkursion besuchen wir Wohnbauten aus unterschiedlichen Epochen und gehen der Frage nach, in welcher Beziehung das Bauen und Wohnen zur lokalen Tradition und zur Landschaft stehen und wie sich dieses Verhältnis im Lauf der Zeit wandelt.

Le Cabanon, Cap Martin, 1952 (Arch. Le Corbusier)
Konstruktionsprinzip Tensegrity (Buckminster Fuller)
La Salle à manger Vernon, Pierre Bonnard um 1925
Hestercombe Gardens, Somerset (LArch. Gertrude Jekyll, Arch. Edwin Lutyens)
Louis Kahn, Carlo Scarpa and Carlos Enrique Vallhonrat, Asolo, 1968
Casa Kalman in Brione sopra Minusio, 1974-1975 (Arch. Luigi Snozzi)
Atelier Le Corbusier und Pierre Jeanneret, 35 Rue de Sevrès, Paris