Soziale Arbeit

Soziale Arbeit

Die international Federation of Social Workers definiert Soziale Arbeit folgendermassen:
»Social work is a practice-based profession and an academic discipline that promotes social change and development, social cohesion, and the empowerment and liberation of people. Principles of social justice, human rights, collective responsibility and respect for diversities are central to social work. Underpinned by theories of social work, social sciences, humanities and indigenous knowledge, social work engages people and structures to address life challenges and enhance wellbeing.«  IFSW 2014

In der Definition stehen die gesellschaftliche Aufgabe und die Ziele sowie die Methoden der Sozialen Arbeit im Fokus. Die Definition macht auch deutlich, dass sich Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft an Werten wie soziale Gerechtigkeit, Freiheit, Wohlbefinden (wellbeing) orientiert.

Sozialarbeitende unterstützen vulnerable gesellschaftliche Gruppen, Einzelpersonen oder Lebensgemeinschaften darin, ein autonomes Leben führen zu können und an der Gesellschaft zu partizipieren. Sie greifen in ihrer Tätigkeit nicht selten in das Leben anderer Menschen ein. So besteht zwischen Sozialarbeitenden und Klient*innen immer ein Machtverhältnis. Sorgfältiges Reflektieren normativer Fragen ist daher unabdingbarer Bestandteil professioneller Sozialer Arbeit. Ethik und professionsethische Grundlagen bilden dazu eine wichtige Grundlage.

Moralische Intention oft der Ausgangspunkt ethischer Reflexion:

Die Verletzung der Menschenwürde oder die Aufforderung, jemandem Schaden zuzufügen etc. lösen in vielen Menschen einen inneren Widerspruch aus. Intuitiv ist klar, dass das nicht richtig sein kann. Es wird interveniert oder eine Handlung wird gestoppt. Eine solche moralische Intention ist geleitet von Gefühlen. Nicht eine systematische kognitive Abwägung ist handlungsleitend, sondern Emotion und Intuition. Moralische Intention ist daher wichtig und wertvoll. Sie hält Menschen manchmal davon ab, andere Menschen zu schädigen. Im professionellen Handeln sollte sie immer dazu führen, die entsprechende Situation oder Handlung zu reflektieren und einer ethischen Reflexion zu unterziehen. Denn Gefühle sind wichtige erste Anhaltspunkte, wenn es darum geht, Situationen kritisch zu reflektieren. Sie sind aber alleine noch keine ethische Begründung, um beispielsweise eine Handlung zu unterlassen, oder gegen Handelnde vorzugehen.
Werte des Kodex aber auch die Bezugnahme auf ethische Theorien können helfen, die Situation besser zu verstehen und Handlungen oder auch das Unterlassen von Handlungen zu begründen. Intention ist der Ausgangspunkt, um sich zu Fragen, in wie weit die eigene Handlung mit den ethischen Richtlinien des Berufes aber auch mit grundlegenden ethischen Prinzipien vereinbar ist. Modelle der ethischen Entscheidungsfindung können diesen Reflexionsprozess unterstützen.

Ethik in der Sozialen Arbeit:

Wertefragen in der Praxis

Professionsethik als Teil des dritten Mandates:

Sozialarbeitende übernehmen in Institutionen wie der Sozialhilfe oder in freien Trägerschaften wie einem Frauenhaus wichtige gesellschaftliche Aufgaben.  Auftrag und Erwartungen von Seiten der Gesellschaft sind es einerseits, Menschen mit Unterstützungsbedarf die notwendige Hilfe zukommen zu lassen. Andererseits wird mit diesem Auftrag sehr häufig ein Kontrollaspekt verbunden. Je nach Feld und Aufgabe überwiegt fatalerweise dieser Kontrollaspekt. Diese Aufgabe, also die Mandatierung durch die Gesellschaft, wird in der Sozialen Arbeit als das erste, zweidimensionale Mandat bezeichnet. Zweidimensional deshalb, weil es sowohl Hilfe als auch Kontrolle beinhaltet.

Selbstverständlich haben die die Adressat*innen der Sozialen Arbeit ihrerseits Ziele und Ansprüche, also einen von ihnen als Adressat*innen formulierten Unterstützungsbedarf. Diese Tatsache, dieser berechtigte Anspruch der Betroffenen wird als zweites Mandat bezeichnet.

Versteht sich die Soziale Arbeit schliesslich als Profession und besteht sie auf eine angemessene Handlungsautonomie, so ist es zwingend, sich einerseits an wissenschaftlichen Erkenntnissen zu orientieren, ihre Methoden wissenschaftlich zu begründen und zu untersuchen, sowie sich an einer Professionsethik zu orientieren. Diese Verpflichtungen werden als das dritte Mandat bezeichnet. Dieses dritte Mandat ermöglicht es, nicht legitime Ansprüche, begründet zurückzuweisen. Dass d in der Praxis- gerade gegenüber Arbeitgeber*innen – nicht immer einfach ist, ist unbestritten. Sozialarbeitende stehen also in einem Spannungsfeld unterschiedlicher Ansprüche.  Und es besteht dabei für Sozialarbeitende eine Verpflichtung, die normative Ausrichtung der Sozialen Arbeit zu berücksichtigen und die Interessen der Klient*innen zu verteidigen.
(zu Mandat siehe unter anderem Staub- Beransconi, Silvia (2019). Menschenwürde, Menschenrechte Soziale Arbeit. Opladen: Verlag Barbara Budrich. S.83-92)

Ethikkodex

Berufe und Professionen regeln ihre grundsätzlichen moralischen Ausrichtungen in einem Berufs- oder Ethikkodex. Manchmal ist auch von ethischen Richtlinien oder im Falle der Ärzt*innen von einem Gelöbnis oder Eid die Rede. Der Berufskodex ist ein substanzieller Bestandteil des dritten Mandates der Sozialen Arbeit. Die ethischen Richtlinien von Professionen und Berufe, werden durch die die jeweiligen Berufsverbände oder Standesorganisationen erarbeitet und sind verpflichtend für deren Mitglieder. Über diese Verpflichtung hinaus kann der Berufskodex durchaus auch eine Wirkung entfalten, in dem er für Nicht- Mitglieder, aber auch für Adressat*innen oder Patient*innen, Mandant*innen offenlegt, welchen Werten die jeweilige Profession oder der Beruf verpflichtet ist. Auch anderen Berufen und Professionen gegenüber signalisiert der Kodex, welche Werte und Normen den betreffenden Fachpersonen wichtig sind.
Für die Soziale Arbeit existieren sowohl internationale ethische Richtlinien als auch entsprechende Ethikkodizes in den einzelnen Ländern. Diese werden jeweils von den Verbänden in demokratischen Prozessen verabschiedet und für verbindlich erklärt. Fest steht: Zwar gibt der Kodex Normen vor und legt den Werterahmen der Profession fest. Die Anwendung im Einzelfall ist aber immer eine Frage der Abwägung und Auslegung. Wie ist konkret zu entscheiden im Dilemma zwischen Abwenden einer Selbstgefährdung und dem Recht auf Selbstbestimmung? Was genau bedeutet Achtung vor der Selbstbestimmung in diesem Fall? Diese Fragen müssen von den einzelnen Sozialarbeitenden und/oder den Teams oder Leitungspersonen entschieden werden. Der Kodex gibt den Rahmen vor -­ die einzelne konkrete Entscheidung braucht aber die Urteilskraft der beteiligten Fachpersonen.

Ethische Reflexion und Diskurs

Ethik Sozialer Arbeit begrenzt sich allerdings nicht auf den Kodex. Es geht grundsätzlich darum, die normativen Grundannahmen und moralischen Dimensionen im professionellen Alltag zu erkennen und einer kritischen Reflexion zu unterziehen. Also sich in der Praxis kritisch zu fragen, welche gesellschaftlichen Normen weshalb erfüllt werden sollen, wo Ansprüche der Gesellschaft an die Soziale Arbeit und/oder Klient*innen allenfalls zurückgewiesen werden müssen und wo problematische Verhaltensweisen von Klient*innen mit ihnen zu thematisieren sind. Neben dem Kodex kann ein wissenschaftlicher Diskurs zu diesen Fragen ein wichtiger Bezugspunkt sein.
Hierzu gibt es einen spezifischen Fachdiskurs zur Ethik der Sozialen Arbeit, in welchem relevante Fragen auch theoretisch diskutiert werden: Wo beginnt und wo endet die Verantwortung als Fachperson der Sozialen Arbeit? Was genau bedeutet es, die Menschenwürde von Adressat*innen zu achten? Theorien und Methoden der Ethik werden dabei mit einbezogen und auf die spezifischen Fragestellungen und moralischen Herausforderungen der Sozialen Arbeit bezogen. So sind beispielsweise gesellschaftstheoretische, ethische Konzepte zu Sozialer Gerechtigkeit wie der Capability Approach von grosser Bedeutung für die Soziale Arbeit. Es gilt also, soll Praxis Sozialer Arbeit ethisch begründet sein, wichtige Erkenntnisse aus dem ethischen Diskurs in die Reflexion zu normativen Zielen und der Frage nach angemessenen individuellen Entscheidungen miteinzubeziehen.

Menschenrechte als wichtiger Bezugspunkt

Die grosse Bedeutung der Menschenrechte für die Soziale Arbeit ergibt sich unter anderem aus der engen Einbindung der Sozialen Arbeit in sozialstaatliche Vollzüge. Soziale Arbeit erfüllt Aufgaben des Sozialstaates zum Beispiel im Kinder- und Erwachsenenschutz, in der Kinder- und Jugendhilfe oder im Rahmen der gesetzlichen Sozialhilfe. Soziale Arbeit ist damit beauftragt, Grundrechte wie soziale Sicherung oder Schutz vor Gewalt zu realisieren. Soziale Arbeit soll einerseits Adressat*innen darin unterstützen, ihre Grundrechte wahrzunehmen und unterstützt durch Angebote, die zur Realisiserung der Menschenrechte zentral sind (beispielsweise durch die Unterstützung von Opfern von Gewalt oder von armutsbetroffenen Familien). Diese Tatsache trifft gleichermassen auf Ärzt*innen, Pflegefachpersonen, Polizist*innen oder auch Lehrer*innen zu. Auch sie erfüllen Aufgaben im Bereich der Menschenrechte, so dem Recht auf eine angemessene Gesundheitsversorgung, Sicherheit oder dem Recht auf Bildung. Sie sind, wie auch Sozialarbeitende, in dieser Rolle gleichzeitig potenzielle Menschenrechtsverletzende. Sozialarbeitende können durch eine diskriminierende Praxis, beispielsweise durch erniedrigende Behandlung, die Menschenrechte bei der Ausübung ihrer Tätigkeit verletzen. Um ihre Machtposition nicht auszunutzen und die Menschenrechte der Adressat*innen nicht zu verletzen, braucht es neben persönlicher Integrität auch Kenntnisse eben dieser  Menschen- und Grundrechte. Aber auch strukturelle Vorgaben in Organisationen der Sozialen Arbeit müssen so beschaffen sein, dass sie die Menschenrechte der Adressat*innen achten. Beispielsweise gilt es ausreichend Ressourcen zur Verfügung zu stellen, die Privatsphäre zu achten und auf erniedrigende Kontrollen und Massnahmen zu verzichten.
Sollen Menschen ihre Rechte wahrnehmen können, so müssen sie diese auch kennen. Der Menschenrechtsbildung kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Neben anderen Akteuren kann auch die Soziale Arbeit dazu beitragen, die Menschen über die
Menschenrechte und deren Bedeutung für das Zusammenleben zu informieren.
Menschenrechte sind auch über ihre völkerrechtliche, grundrechtliche Bedeutung hinaus wichtig für die Soziale Arbeit. Weil sich die Soziale Arbeit zentral an den Menschenrechten ausrichtet, kommt diesen auch im Kodex eine tragende Rolle zu. Sie sind Teil des ethischen Selbstverständnisses Sozialer Arbeit. Also nicht nur weil Soziale Arbeit sozialstaatliche Mandate übernimmt, sondern auch weil sich Soziale Arbeit selbst als Profession an den Menschenrechten ausrichtet, sind sie ein wichtiger normativer Bezugspunkt. Dies spiegelt sich auch in den internationalen Ethikrichtlinien des IFSW und im schweizerischen Kodex wieder.

Menschenwürde

Die Menschenwürde ist ein wichtiger Ausgangspunkt für die Menschenrechte. Die Menschenwürde selbst ist nicht ein eigentliches Recht, sondern die gemeinsame, übergeordnete Grundlage der Menschenrechte. Die Delegierten, welche die Menschenrechtskonvention 1948 ausarbeiteten, haben bewusst darauf verzichtet eine genaue Herleitung, d.h. eine theoretische Begründung für diese Grundlage zu liefern. Sie setzten vielmehr die Würde des Menschen als Ausgangspunkt fest: «Alle Menschen sind frei an Würde und Rechten geboren», so heisst es im ersten Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Die Würde des Menschen ist also eine zentrale Wertevorstellung der Menschenrechte und gleichzeitig führt die Einhaltung der Menschenrechte auch zu einem Leben in Würde. Die Menschenwürde ist also Ausgangspunkt und Ziel der Menschenrechte.(Staub Bernasconi S. 130).

Die Würde des Menschen ist auch in der Sozialen Arbeit von zentraler Bedeutung. Nicht nur, weil sie durch die Grundrechte geschützt wird, sondern auch, weil die Würde des Menschen in allen normativen Leitlinien und Kodices der Sozialen Arbeit als wichtige Bezugsgrösse benannt ist. Allerdings wird auch dabei weitestgehend darauf verzichtet, genauer zu beschreiben, was unter Würde verstanden wird. Diese genauere Definition und auch eine Debatte darüber, welcher Definition von Würde die Soziale Arbeit folgen soll, muss in der Sozialen Arbeit sowohl theoretisch wie auch in der Praxis immer wieder geführt werden. Der philosophisch-ethische Diskurs kennt unterschiedlichste Konzeptionen von Menschenwürde. Einige, wie religiöse und naturrechtliche Konzeptionen, fallen für die Profession weg wegen ihrer eingeschränkten Reichweite. Andere wie beispielsweise die Konzeptionen von Kant oder Luhmann sind umstritten und deren praktische Bedeutung und Umsetzung muss kritisch beleuchtet werden. In der Praxis gilt es, den Begriff Menschenwürde konkret und gleichzeitig theoretisch abgestützt zu definieren. Nur wenn klar ist, was die Achtung der Menschenwürde bedeutet, kann auch entsprechend gehandelt werden und Verletzungen der Menschenwürde können auch angesprochen werden.
Für die Praxis lassen sich mit Bezug zu unterschiedlichen philosophischen Konzeptionen folgende wichtige Punkte herausarbeiten:

  • Menschen sollen nicht instrumentalisiert werden. Ihre Selbstbestimmung und Autonomie gilt es zu achten.
  • Menschen sollen nicht erniedrigt werden.
  • Ein Leben in Würde bedingt die Befriedigung wichtiger Grundbedürfnisse, also die Ausstattung mit entsprechenden Gütern.
  • Menschenwürde ist etwas, das wir Menschen uns gegenseitig zugestehen müssen.

Gegen die Idee der Menschenwürde wird oft eingewendet, sie sei ein rein westliches Konzept. Gleichzeitig verstehen sich westliche Vertreter*innen der Philosophie als quasi Verteidiger*innen dieser Idee. Diese Sichtweise auf den Begriff der Menschenwürde ist jedoch verkürzt und zeugt von einem eurozentrischen Blick. Die Idee der Würde des Menschen findet sich historisch auch in anderen Kulturkreisen und kann, in unterschiedlicher Kontextualisierung, als weltumspannende Idee bezeichnet werden.
(siehe unter anderem Staub Bernasconi 2019 S. 133-140 )