Auf den Spuren der Postmoderne
Cyril Kennel
Dieser Artikel beruht auf einem Vortrag, der beim Symposium «Baukulturen der Boomjahre» am 15.06.2023 an der FHNW in Muttenz gehalten wurde. Alle Beiträge finden Sie im Online-Tagungsband.
Die Postmoderne ist ungeliebtes Kind der Schweizer Architekturgeschichte, da sie den historiografischen Mythos und behaupteten Sonderfall Schweiz einer «langen Moderne» bis zur Swiss Box der 1990er Jahre herausfordert. Noch ungeliebter ist sie, wenn sie als alltägliche Schwester einer akademisch-etablierten «analogen» ETH-Architektur als Allerwelts-Postmodernismus[1] daherkommt; dies z.B. in Form von mit rossianischer Motivik geschmückten Industriebauten oder vulgär-venturianisch anmutenden Eternit-Verkleidungen abseits urbaner Zentren – und meistens abseits jeglicher Stararchitektur.[2]
Es ist gerade dieser Alltags-Postmodernismus, der hier im Zentrum steht und als Teil einer alltäglichen Baukultur (Alltagsarchitektur als Alltagskultur) betrachtet wird.[3] Auch in der Deutschen Schweiz haben sich im Verlauf der 1970er und 1980er Jahre Narrative und Motive aus den Gegenkulturen der 1960er Jahre (Stichworte High and Low, Camp und Kitsch) in die Architektur übersetzt und popularisiert. Dies ursprünglich unter der Schirmherrschaft etablierter Magazine wie der Archithese oder dem Werk – zum Beispiel mit einem Interesse an der Anwendbarkeit der Semiotik für die Bereiche der Architektur –, danach auch zunehmend in Publikumsmagazinen wie Schöner Wohnen oder der Architecture Suisse, die es sich bereits bei ihrer Gründung 1972 zum Ziel gesetzt hatte, die «anderen 95%» des Schweizer Architekturschaffens abzubilden.[4] Es sind jedoch oftmals gerade die alltagsarchitektonischen Umsetzungen dieser Debatten, die von der akademischen Architekturkritik bis heute verschmäht wurden, obwohl sie als «elephant in the room» auf eine nähere Betrachtung warten. Erste Ergebnisse zeigen, dass diese Architektur gerade durch die Bautätigkeit grosser Firmen wie Suter + Suter AG oder Burckhardt + Partner AG präsenter ist als manche denken und solche Firmen an der Popularisierung bestimmter Narrative mitbeteiligt waren. Gerade die Bauherreninformation von Burckhardt + Partner ist ein erwähnenswertes Zeitzeugnis, in dem sie in mehreren Ausgaben die Umbrüche der Postmoderne, Überlegungen von Robert Venturi oder die Renaissance früherer Bautypen (Atrien) in einfach verständlicher Sprache zu vermitteln versucht.[5] Wichtige Projekte der Firma waren zum Beispiel der Hauptsitz der Hörgeräteherstellerin Phonak AG in Stäfa ZH (Abb. 1), in welchem es erklärtes Ziel war, die Thematik der Akustik auf mannigfaltige Art zeichenhaft in den Bau zu übersetzen (so etwa durch verschiedenfarbige Steinplatten, die an hoch- und runterspringende Tonleitern erinnern oder eine hölzerne Raumtrennung in Referenz an den Hohlkörper der Violine) oder die Wydum-Wohnsiedlung in Wetzikon ZH, die mit ihrem beinahe kulissenhaften Illusionismus den Dorfeingang für die Autofahrenden als Zeichen zu markieren versucht (Abb. 2). Bei der Suter + Suter AG stechen die Entwürfe für die ersten McDonalds Filialen in der Deutschschweiz ins Auge: In Luzern wird in neoklassizistisch-inspirierten Raumabfolgen «regionalistisch» mit einem Gipslöwen auf das Löwendenkmal verwiesen, in Basel und Zürich referenzieren fragmentierte Spiegelwände, Natursteinabdeckungen sowie diagonal gelegte Spiegel- und Neonbänder Las Vegas. Ebenso erwähnenswert ist der Umbau eines (mittlerweile abgerissenen) Bürobaus der Nachkriegsmoderne in Zürich Altstetten in eine mit Fliesen überzogene und mit einer mehrgeschossigen Fliesenornamentik ausgestatteten Corporate Architecture für die Sponagel AG oder der an eine technoide Burg erinnernde Fabrikationsbau für die Papierherstellerin Elco AG im luzernischen Wikon (Abb. 3). Weniger «ab Stange» wie in Wikon, dafür ebenso geografisch peripher angesiedelt ist das Bezirksgebäude von Unterkulm AG des Architekten Ruedi Weber, dessen neoklassizistische Strenge bewusster Versuch war, dem Ort eine klare Identität zu verleihen, in der sich die Idee von Öffentlichkeit auch über die Gebäudehülle manifestiert, was auch als Idee eines genius loci gelesen werden kann.[6] Herzstück des Baus ist der Gerichtssaal mit einer trompe-l’oeuil Wandmalerei von Otto Kälin, die eine toskanische Renaissanceperspektive mit dem lokalen Juramassiv verbindet (Abb 4). Und dass die Vergangenheit in den 1980er Jahren wiederkehrt, zeigt auch die Renaissance der bewusst nach Mailand schielenden Galleria als Teil des Zuger Stadtquartiers Metalli, entworfen vom renommierten Büro Hafner Wiederkehr Partner[7], welches mit Blockrand, ausgiebigen Fussgängerzonen, eine an James Stirling erinnernde Verkleidung aus Cannstatter Travertin und zeichenhaften Auskragungen aufwartet, die einerseits Durchgänge markieren und gleichzeitig eine Referenz an den Vorgängerbau der Metallwarenfabrik sind (Abb. 5).[8] Als Alltagsarchitektur vor allem durch die täglichen, hochfrequentierten Nutzungen zu interpretieren, zeigt gerade letztgenanntes Beispiel mit ausgiebigen Shopping-Zonen, dass eine wertfreie Diskussion über den Stellenwert auch von postmoderner Architektur dringend nötig ist, denn für die Metalli-Überbauung bestehen massive Umgestaltungspläne. Es wird zudem interessant sein zu sehen, wie sich die Denkmalpflege in den kommenden Jahren diesem Themenkomplex annähern und wie sie ihre Kategorien an einer manchmal bewusst mit populistischen und lauten Gesten operierenden Architektur anwenden wird.
Anmerkungen
[1] Lucius Burckhardt anerkennt 1986 einen Allerwelts-Postmodernismus, den die Fachwelt nur schwer erträgt, der jedoch in breiten Bevölkerungsschichten gut ankommt. In: Burckhardt, Lucius: Allerwelts-Postmodernismus. Ein Stil, von dem wir noch mehr sehen und über den wir noch mehr schreiben werden, in: Werk, Bauen + Wohnen, 73, 1986, S. 26–28.
[2] Hierzu Rudolph Schilling polemisch: «Da ein säulengesäumter Portikus, dort ein düsterlicher Treppenhausturm. Wo ein Vordach ein gleichschenkliges Dreieck, wo ein WC ein Bullauge. Die Symptome lassen darauf schliessen, dass die Inkubationszeit vorbei ist: Gleich wird die Seuche der Trivialpostmoderne mit voller Wucht ausbrechen.» In: Schilling, Rudolph: Hallo! Hier Architektur! In: Das Magazin, 14, 1989, S. 37.
[3] Für die Architekturhistorikerin und -vermittlerin Turit Fröbe ist Alltagsarchitektur «das, was uns im Alltag umgibt, was wir nicht wahrnehmen, wo wir nicht mehr darauf achten, weil es so selbstverständlich ist oder uns als banal erscheint, weil wir es jeden Tag vor der Nase haben. Auch die Architektur gegenüber, der Strassenzug, das Strassengrün. Die wenigsten von uns werden überhaupt in der Lage sein, die Fassade des Hauses zu beschreiben, in dem wir wohnen. Man spricht hier auch von Alltagsblindheit. Die tritt in den Alltagsräumen so richtig zu Tage.» Interview mit Deutschlandfunk Radio, 1. August 2020.
[4] Siehe Gründungsunterlagen von Anthony Krafft im privaten Archiv von Federico Krafft-Gloria.
[5] Namentlich die Ausgaben 4/1985 und 1/1988. Autor war jeweils der Architekt Roland Oberli, der sich gegenüber dem Autor als bekennender Venturi-Fan ausgab (Gespräch mit dem Autor am 15. Februar 2023). Die Ausgaben wurden eingesehen im Archiv der Burckhardt und Partner AG.
[6] Siehe Gespräch des Autors mit dem Architekten Ruedi Weber am 19. Juli 2022.
[7] Interessanterweise war der Mitbegründer des Büros, Leo Hafner, in den 1950er und 1960er Jahren bekannt für seine Entwürfe im Geiste einer Nachkriegsmoderne nach nordamerikanischem Vorbild.
[8] Siehe Gespräch des Autors mit dem Architekten Alphons Wiederkehr am 14. März 2023 und mit dem Architekten Peter Lanfranconi am 18. Juli 2023.