FS23 – Stadtwohnen in Kleinbasel

Einführung

Die Stadt Basel ist in vielerlei Hinsicht ein ideales Experimentierfeld und Anschaungsbeispiel für ein mögliches städtisches Wohnen in der Zukunft. Ihre territoriale Begrenzung und hohe Dichte zwingt alle Akteure mit den limitierten Bodenresourcen sorgsam umzugehen. In der dichten Bebauungsstruktur des Zentrums sind qualitativ hochwertige Freiräume für die Bewohner zu bewahren.
Für ein ausgeglichenes Stadtklima braucht es gerade hier weniger Versiegelung und mehr Grün. Die klimatischen Herausforderungen verlangen heute nach einem ressoucenschonenden und möglichst emmissionsarmen Umgang beim Bauen.
Dazu im Gegensatz liegt der Fokus der Stadtentwicklung Basels derzeit in der grossmasstäblichen Überbauung der Transformationsareale an den Rändern der Kernstadt. Auch wenn klimaschonend gebaut wird, ist ein Neubau niemals klimaneutral. Das Zentrum der Stadt hingegen leidet unter den Krisen der letzten Jahre. Während in den Transformations arealen grossflächig neuer Raum geschaffen wird, hat sich im Zentrum an bester Lage mit ungeheurem baulichen Potential der Bestand an brachliegenden Büro- und Gewerbeflächen von 100‘000m2 auf 200‘000m2 geradezu verdoppelt. Das Wohnbauprogramm 1000+ bis 2035 des Kantons Basel-Stadt könnte in diesen vorhandenen Flächen auf einen Schlag umgesetzt werden ohne einen einzigen Neubau zu erstellen.
Dieser Widerspruch ist der Ansporn die heutige Planungspraxis als Modell für die zukünftige Stadtentwicklung zu hinterfragen. Für zukünftige Generationen von angehenden Architekten wird das Kernthema ihrer architektonischen Praxis weniger der Neubau von Wohnraum sein, sondern vielmehr die Transformation vorhandener baulicher Strukturen zu Wohnen.
Das Frühjahrssemester des zweiten Jahreskurses geht dieser zentralen Zukunftsfrage nach. Es wird untersucht wie die baulichen Strukturen des Basler Blocks transformiert, weitergebaut und wiederverwendet werden können, um ressoucenschonend qualitativ hochwertigen Raum zum Wohnen und Arbeiten für die Zukunft zu schaffen.

 

Stadttransformation

Der in Basel seit Jahren hohe Leerstand im tertiären Bereich stellt ein ungeahntes Potential für die innere Stadtentwicklung dar.
Die baulichen Strukturen von Bürobauten sind strukturell und technisch einfach in Wohnbauten transformierbar. Flexibel geplant sind Bürobauten bis auf Decken und Tragstrukturen einfach rückbaubar. Die gängigen Büroraster eigenen sich meist ideal für Wohnnutzung. Leichtbauwände, Treppen, Fenster, Türen, Fassadenelemente können, wo sinnvoll, leicht wieder verwendet werden. Auch wenn die vorhandenen Strukturen wenig oder gar nicht für den standardisierten Wohnungsbau geeignet sind, eröffnen sich gerade in der Interaktion zwischen Typologie, Struktur, Programm und gegebenem Raum ein kreatives Potential.
Das diesjährige Semesterprojekt stellt eine aktuelle Problemstellung mit ihren Missständen in den Mittelpunkt der Lehre. Angesichts unserer drängenden klimatischen Herausforderungen und der damit verbundenen notwendigen Umdenkprozesse unserer Planungsgewohnheiten gewinnt der Begriff der Transformation mehr und mehr an Bedeutung und steht daher im Mittelpunkt des Semesters.
Der Begriff der „Transformation“ wird heute in verschiedensten Sinnzusammenhängen wie Veränderung, Umsetzung, Umformung, Umwandlung, Verwandlung, Übersetzung, Umbildung, Wandlung und vielen mehr verwendet.
Allen Begriffen von Transformation ist jedoch etwas sehr Wesentliches gemeinsam, sie gehen von Bestehendem, vom existierenden Kontext, von Bestand, von vorgefundener Form, bereits existierenden Prozessen etc. aus und verändern das Ausgangsprodukt. Es geht dabei nicht, wie so oft in den letzten 200 Jahren der Moderne um Tabula rasa, sondern vielmehr um Anknüpfen an und Weiterführen von Bestehendem.

 

Vorübung

Zu Beginn des Semesters wird aufbauend auf das erste Semester mit dem Schwerpunkt Wohnkultur in die Systematik des Geschosswohnungsbaus eingeführt. In einer kurzen Wochenübung werden die Auswirkungen von verschiedenen Gebäudetiefen, Erschliessungssystemen und deren Abhängigkeiten erforscht.

 

Semesterprojekt

Während im Herbstsemester unter dem Titel „Wohnkultur“ die Einführung in die Architektur des Wohnens im Vordergrund stand, geht es in diesem Semester um das Wohnen mitten in der Stadt. Zwischen Feldbergstrasse, Kaserne und Klybeckstrasse in unmittelbarer Nähe des Rheins hat sich in den letzten Jahren mit neuen Bars und kleinen Restaurants ein lebendiges Stück Kleinbasel entwickelt. Eine homogene klassische Blockrandbebauung mit Läden im Erdgeschoss gibt dem Quartier sein städtisches Flair.
Bei genauerem Hinsehen fällt jedoch einer der Blöcke aus dem homogenen Muster heraus und der:die Betrachter:in bleibt irritiert hängen. Im Innern ist der Block einer der dichtesten und an seinen Rändern zugleich der fragmentiertesten des gesamten Kleinba-sels. Ein grossmasstäbliches Ensemble aus Bürobauten der 70er Jahre steht im Kontrast zu zweigeschossigen, beinahe dörflichen Strukturen im Blockrand. Seine Erscheinung ist geprägt durch zahlreiche Brüche und Fragmente, die zusammen seinen spröden Charme ausmachen und eine vielversprechende Ausgangslage für eine spannende Semesteraufgabe bilden.
Im Zentrum der Aufgabe steht die Transformation der Bürogebäude der Sozialhilfe Basel-Stadt, die Anfang der 70er Jahren eher funktionalistisch und etwas brachial inmitten des kleinbasler Blocks implantiert wurden. Beispielhaft und zukunftsweisend soll aufge-zeigt werden, welches ungeheure ressourcenschonende und typologische Potential in der Transformation von Büroflächen zu Wohnen liegt. Für die gegebenen Bürostrukturen ist eine geeignete Wohntypologie zu entwickeln, die eine grosse Durchmischung und ökonomische Verwendung der vorhandenen Flächen pro Bewohner:in anstrebt. Alternative Wohnformen, die aus dem genossenschaftlichen Wohnen bekannt sind, sollen die typologische Vielfalt bereichern und können helfen, die gegebenen baulichen Strukturen interessant zu interpretieren.
Der Arbeit zuhause (homeoffice) oder in unmittelbarer Nähe der Wohnung (co-working) wird in Zukunft grössere Bedeutung zukommen. Der Arbeitsplatz in der eigenen Woh-nung oder im unmittelbaren Umfeld soll bei Konzeption der Wohnungen und der Programmierung der Erdgeschosse in die Betrachtungen einbezogen werden. Abgestützt auf die Vorübungen und die Analysen ist bis zur ersten Zwischenkritik für die Erdgeschosse eine Programmierung und eine Entwurfsidee zu formulieren. Für die bestehende Einstellhalle ist davon auszugeehen, dass diese nicht mehr zur Parkierung von Autos genutzt wird. Die bestehende Einstellhalle kann daher in die Gesamtkonzeption intergriert, umgenutzt oder teilweise abgebrochen bzw. angepasst werden. Idealerweise ergänzen die Vorschläge im Umgang mit der Einstellhalle die Gesamtkonzeption des Projekts.
Jede Transformation von Bestand bietet gerade in dichten Blockstrukturen die Chance, Fragen der Porosität mit einer differenzierten Abstufung von öffentlich, halböffentlich bis privat neu zu denken und das Gemeinschaftliche in den Vordergrund zu stellen. In einer Gesamtbetrachtung des städtischen Blocks sind daher die Abstufungen vom öffentlichen Raum bis zur privaten Wohnung differenziert auszubilden und die Adressierung vertieft zu betrachten.
Durch Transformation und Neuprogrammierung des vorhandenen baulichen Bestands soll nachgewiesen werden, wie mehr Raum für mehr Bewohner:innen mitten im Zentrum der Stadt geschaffen und gleichzeitig eine hohe Wohnqualität bei zunehmender Bewohnerdichte gewährleistet werden kann.
Im mineralisch geprägten Stadtkörper stellt sich nicht zuletzt die Frage nach dem architektonischen Ausdruck und der Materialisierung nachhaltig umgebauter Bestandsstrukturen. Nachhaltige aber im historischen Stadtkörper nicht vorkommende Materialisierungen und Bauweisen sind bei Verwendung im mineralischen Kontext der Stadt zu reflektieren.

 

Soziale Nachhaltigkeit

Architektur und Planung können erstaunlich viel für eine klimaverträgliche Zukunft tun. Im Wohnungsbau lassen sich zum Beispiel Anreize setzen für einen minimalen individuellen Wohnraumverbrauch. Dazu tragen effizient organisierte Grundrisse für konventionelle Wohnformen ebenso bei wie die Erfindung gemeinschaftlicher Wohnformen. In den letzten Jahren haben viele Projekte aber auch aufgezeigt, dass das Auslagern von Funktionen und das Teilen von Räumen über die privaten Wohnungen hinaus ein wichtiger Hebel ist, um Flächen zu sparen. Kollektiv genutzte Innen- und Aussenräume werden nicht nur intensiver bespielt als private, sie stärken auch die Nachbarschaft und damit den Zusam-menhalt der Bewohner:innen untereinander. Genau dies ist gemeint mit sozialer Nachhaltigkeit.
In der Semesteraufgabe zum Stadtwohnen im Kleinbasel werden nicht nur Bürobauten in Wohnbauten transformiert. Die miteinander verknüpften Erdgeschosse und das grossräumig dimensionierte Parkgeschoss der heutigen Sozialhilfe des Kantons Basel-Stadt stellen darüber hinaus eine grossartige Struktur zur Verfügung, die zu einer Programmierung mit kollektiven Nutzungen geradezu einlädt. Bloss, welche Nutzungen machen Sinn, weil sie erlauben, die Wohnungen knapp zu halten, weil sie die Nachbarschaft fördern, den Lärm für die umliegenden Hofrandhäuser erträglich halten und nicht einfach die beschwingten Erdgeschossnutzungen der umliegenden Blockränder konkurrenzieren?
Um dies herauszufinden, untersucht ihr in der Vorübung zur sozialen Nachhaltigkeit Refe-renzprojekte mit innovativen kollektiven Angeboten in unterschiedlichen städtischen und suburbanen Kontexten. Erdgeschossnutzung und Wohntypologien sind gleichermassen zu analysieren und zu verstehen.
Vor Ort, im Gespräch mit den Betreiber:innen und Nutzer:innen findet ihr heraus, welche Angebote und Nutzungsmischungen sich bewähren, wo justiert werden muss, was möglicherweise weniger auf Nachfrage stösst. In einer gemeinsamen Präsentation eurer Ergebnisse sammeln wir diese Informationen und diskutieren, wie sie in eure eigenen Programme für die Transformation der Stadtblöcke im Kleinbasel Eingang finden könnten.

 

Grundlagen

Der Wohnungsbau wird mit Vorträgen und Lektüre (Selbststudium) thematisch eingeführt. Von den Studierenden wird erwartet, dass sie sich im Laufe des Semesters mit dem Wohnungsbau nicht nur projektbezogen sondern auch mit einem breiten Blick befassen.

 

Anforderungen Semesteraufgabe

Die Studierenden entwickeln selbständig in 2er Gruppen Transformationsprojekte der bestehenden drei Bürobauten incl. Erdgeschoss und Einstellhalle in Kleinbasel.
In den Vorübungen zur Wohntypologie und zur sozialen Nachhaltigkeit werden wichtige Grundlagenkenntnisse zum Wohnungsbau und damit zum Semesterprojekts erarbeitet. Dazu gehören auch die Aufarbeitung der Plangrundlagen und die Erstellung des Modells M 1:100, die selbstorganisiert in Gruppen durch das gesamte Atelier erarbeitet werden. Eine vertiefte Analyse des Ortes und die daraus direkt abgeleitete Entwurfsidee wird von jeder 2er Gruppe individuell erarbeitet. Die Erkenntnisse aus der Vorübung und der Aufgabe zur sozialen Nachhaltigkeit sollen ebenso in die Entwurfsidee einfl iessen. Die Analyse und die Entwicklung der Idee wird von den Assistierenden am Tisch betreut. Die Entwurfsidee ist für die erste Zwischenkritik in ein oder mehreren repräsentativen schematischen Längs- oder Querschnitten durch den städtischen Block darzustellen. In einem bewusst gewählten Schnitt können Themen wie die vorgeschlagene Nutzung und ihre räumliche Beziehung untereinander, die Abstufung von öffentlichem Stadtraum bis zum privaten Wohnraum, die Beziehung der transformierten Bauten zur umliegenden Nachbarschaft, Ideen zum Freiraum, Umgang mit den „Lücken“ im Blockrand, die Adres-sierung und Erschliessung, Art der Nutzung etc. verdeutlicht werden.
Ziel ist es, auf Basis der erarbeiteten Erkenntnisse zur ersten Zwischenkritik eine Entwurfsidee in Form eines Konzeptblattes zu formulieren in dem alle Erkenntnisse zusammenfliessen und pregnant präsentiert werden können.
Den oder die Schnitte zur Erläuterung der Idee sollen durch weitere Darstellungsformen wie Axonometrie, Schema, Collage und Konzeptmodell etc. ergänzt werden.
Wichtiger Teil des Konzeptblattes ist zudem eine Überschrift oder ein Arbeitstitel für die erarbeitete Entwurfsidee.
Nach Abschluss der ersten Zwischenkritik sind die Konzepte, wenn nötig, zu präzisieren bevor dann die Idee im Entwurf weiterverfolgt wird.
Zwischen der zweiten Zwischenkritik und der Schlusskritik ist eine Gruppenkritik zur Konstruktion geplant. Gemeinsam wollen wir Fragen des architektonischen Ausdrucks und der Konstruktion diskutieren, die in die Schlussabgabe der Semesterprojekte einfliessen.
Die Anforderungen für die 2. Zwischenkritik und Schlusskritik siehe unten.

 

Raumprogramm

Die soziale Durchmischung der Bewohnerinnen und Bewohner ist eines der Ziele der Semesteraufgabe. Es sind deshalb unterschiedliche Wohnungsgrössen vorzusehen. Die Wohnungsgrundrisse müssen unterschiedlichen Wohnbedürfnissen und Lebensphasen gerecht werden. Zu beachten ist, dass die Zusammensetzung der Bewohnerschaft über den ganzen städtischen Block angeschaut werden soll. Ziel ist es einen lebendigen Block als neue Identität einer städtischen, lebenswerten Nachbarschaft der Zukunft zu schaffen. Damit die Wohnungen längerfristig nutzbar sind, ist darauf zu achten, dass sie anpassbar sind. Anpassbarkeit lässt sich baulich am besten durch konsequente Bauteiltrennung, einfache statische Strukturen, nichttragende Zwischenwände und räumlich durch flexibel nutz- und zuordenbare Flächen erreichen.
Investitions- und Mietkosten stehen im nicht spekulativen Umfeld in einem direkten Ver-hältnis zueinander. Gefragt sind deshalb die ökonomische und möglichst wenig invasive Transformation von bestehenden Baustrukturen und deren kostenbewusstem Ausbau. Grössere Abbrüche und Umbauten des Bestands sind nur zu vertreten, wenn sie durch einen echten Mehrwert begründet werden können.
Zu jeder Wohnung ist ein entsprechender Aussenraum (Balkon, Loggia oder Terrasse) so zu integrieren, dass komplexe bauphysikalische und kostenintensive Detaillösungen der Fassadenstruktur vermieden werden. Nebenräume, Waschküchen und Abstellräume sollen so konzipiert werden, dass sie vielleicht einen Mehrwert für die Gemeinschaft schaffen darstellen. Clusterwohnungen offen und geschlossen, Wohngemeinschaften,
„Jokerzimmer“, Wohnateliers etc. sollen die klassischen Wohnungen ergänzen. Besondere Beachtung ist den Themen wie Homeoffice und einer damit verbundenen Flexibilität durch Mehrfachnutzung von Flächen in und ausserhalb der Wohnung über den Verlauf des Tages zu schenken.
Die Nutzung der Erdgeschosse wird aus den Erkenntnissen der Vorübungen, Analysen, Referenzprojekten bis zur ersten Zwischenkritik eigenständig durch die Studierenden definiert. Die Idee des „Lebens der kurzen Wege“ sollte bei der Suche nach einem ausge-glichenen Verhältnis zwischen Wohnen und Arbeiten am selben Ort verfolgt werden.

 

Grundlagen

Der Wohnungsbau wird neben den Vorübungen mit Vorträgen und Lektüre (Selbststudium) thematisch eingeführt. Von den Studierenden wird erwartet, dass sie sich im Laufe des Semesters mit dem Wohnungsbau nicht nur projektbezogen, sondern auch breiter befassen.

 

Lektüre

Die Textsammlung „Über das Wohnen II – Stadtwohnen“ wird zum Selbstudium während des Semesters abgegeben.

 

Atelierbetrieb

Das Atelier bietet nicht nur persönliche Arbeitstische für alle Studierenden an, es ist auch Ort des Austauschs und der Begegnung, ein Ort in dem verschiedene Haltungen und Ideen aufeinandertreffen sollen. Von den Studierenden wird deshalb erwartet, dass sie sowohl am Dienstag als auch am Mittwoch den ganzen Tag im Atelier anwesend sind. Die Assistierenden betreuen jeweils ca. 5-6 2er Gruppen.
Der Dienstag beginnt in der Regel um 09.00 Uhr mit einer Vorlesung. Im Anschluss und am Mittwoch Morgen finden die Tischkritiken statt. Die Studierenden bereiten sich darauf vor und bringen alle relevanten Skizzen, Pläne und Modelle mit. Die Besprechungen finden ohne Bildschirme statt.
Jeweils vor der 2. Zwischenkritik und der Schlusskritik geben die Dozenten um 17.00 Uhr ein feedback über die Entwicklung der Projekte und Hinweise für den weiteren Verlauf der Arbeiten.