Schall und Raum

Die Studierenden des Grundstudiums arbeiteten im Frühjahr 2019 an einem besonderen, in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik der FHNW entstandenen Experiment. Um geometrische wie atmosphärische Wechselwirkungen zu erforschen, bauten sie in Gruppenarbeit Musikinstrumente, für die sie anschliessend ein Musikstück komponierten. Die öffentliche Präsentation übertraf alle Erwartungen.

Frédéric Chopins Regentropfen-Prélude in Des-Dur, ein Musikstück für Klavier aus dem Zyklus der 24 Préludes op. 28, entstand während seines Aufenthalts in der Kartause von Valldemossa auf Mallorca, irgendwann zwischen seiner Ankunft im November 1838 und seiner Abreise im Februar 1839. Der Beiname «Regentropfen-Prélude» beruht auf dem von George Sand beschriebenen Vorfall, bei dem Chopin in Abwesenheit seiner Familie in seiner kalten und feuchten Unterkunft in der Kartause aufgrund eines herannahenden Unwetters in eine Art Angstzustand verfallen sein soll. Hört man sich das Stück an und schliesst die Augen, kann man sich vorstellen, wie die Sorge um seine Familie zunächst durch das ferne Grollen des Donners und später das Prasseln der schweren Regentropfen auf dem Dach und an den Fensterscheiben angetrieben wurde.

«[…] Er kam sich vor, als wäre er in einem See ertrunken; schwere, eisige Wassertropfen fielen ihm im Takt auf die Brust. Als ich ihn aufhorchen hiess, denn man konnte tatsächlich den gleichmässigen Takt von Tropfen hören, die auf das Dach fielen, bestand er darauf, das nicht gehört zu haben. […]» (George Sand: Geschichte meines Aufenthalts auf Mallorca aus Geschichte meines Lebens, als Anhang in George Sand: «Ein Winter auf Mallorca»)

Ob der zu dieser Zeit bereits schwer kranke und schwache Chopin sich tatsächlich von den Klängen der Natur hat inspirieren lassen oder nicht, sei dahingestellt. Dass aber der Klang im Raum eine grosse Wirkung auf die sich darin befindenden Menschen hat, ist unbestritten. Ob bewusst oder unbewusst, die Meisten von uns erleben die aussergewöhnliche Kraft eines Raumes zum ersten Mal in ihrem Leben nicht selten im Zusammenhang mit einer musikalischen Aufführung. Das erste Konzert mit der Grossmutter in der Philharmonie, der stimmgewaltige Musiker in den Gängen einer U-Bahn oder das Weihnachtsoratorium im Dom; gewisse Klangerfahrungen bleiben uns auf ewig in Erinnerung und wirken sich in manchen Fällen wie bei Frédéric Chopin in der Kartause von Valldemossa sogar sehr direkt auf unser Schaffen aus.

Der Klang eines Raumes kann aber auch in gleichem Masse wie das Licht oder die Temperatur über die Qualität eines gesamten Bauwerks entscheiden. Der Legende nach empfahl etwa Leonard Bernstein nach einem Konzert im Münchner Gasteig im Eröffnungsjahr 1985, das bayrische Kulturzentrum aufgrund seiner miserablen Akustik niederzubrennen: «Burn It!» Die Erkenntnis, dass allein die auditive Wahrnehmung unser Urteil über ein ganzes Gebäude prägen kann, bildete den Ausgangspunkt für die Kooperation zwischen dem Institut Architektur und der Hochschule für Musik der FHNW in Basel und für die daraus resultierende einleitende Übung «Schall und Raum» der Architekturstudierenden im 2. Semester.

Das Frühjahrssemester des Grundstudiums Architektur widmet sich, im Gegensatz zu den massiven Strukturen des Herbstsemesters, jeweils den leichten Bauweisen und grossen Spannweiten. Durch den strukturellen und konstruktiven Fokus auf meist lineare Tragelemente aus Holz und Stahl soll bei den Studierenden der entwerfende Konstrukteur im Geiste Jean Prouvés geweckt werden. Die gemeinsam mit Prof. Uli Fussenegger, Prof. Michel Roth und Anja Wernicke von der Hochschule für Musik entwickelte Übung «Schall und Raum» bildete dabei zum einen den Einstieg in die Welt der komplizierten Tragsysteme, Schichtenrisse und Knotenverbindungen des Leichtbaus und beabsichtigte zum anderen eine Sensibilisierung für die Welt der Akustik sowie den Klang im Raum.

Den Auftakt bildeten drei kurze Solokonzerte im Foyer des neuen Hochschulgebäudes in Muttenz, die einen Einblick in Spielweise und Möglichkeiten der Klangerzeugung gewährten. Während Evan Vercoutres überraschende Bearbeitung der Gitarre die Grenzen der akustischen Möglichkeiten des öffentlichen Foyers aufzeigte, wurde durch das Spiel von Dino Georgeton auf seinem selbst hergestellten Schlaginstrument und durch den Beitrag von Luis Homedes López auf dem Saxophon der enorme Widerhall dieses einzigartigen Raums sehr eindrucksvoll demonstriert. Der darauffolgende Besuch beim Basler Geigenbauer Jürg Buchwalder rückte wiederum die praktischen Anforderungen und technischen Möglichkeiten des Instrumentenbaus in den Fokus. Dabei wurden die Auswirkungen von Holzarten und deren Behandlung auf die Klangfarbe eines Cellos erläutert und ganz nebenbei auch noch die Seele der Geige entdeckt. Martin Lienhard wiederum erklärte die Grundlagen der Akustik aus der Sicht der Bauphysik und Michel Roth gewährte den Architekturstudierenden einen ersten Einblick in die erstaunliche Welt der Spieltechniken in der Neuen Musik.

Den Abschluss und gleichzeitig Höhepunkt des dreiwöchigen Experiments bildeten die Konzerte der Studierenden auf ihren eigenen Instrumenten. Eigens für das grosse Finale komponierte Stücke, die in einigen Fällen sogar neue Formen der Notation hervorbrachten, wurden in performativen Aufführungen präsentiert. Die Vielfalt der Schlag- und Saiteninstrumente, welche sich teils auf uns bekannte Instrumente bezogen und teils fantastische Neukreationen darstellten, übertraf alle Erwartungen.

Am Ende steht der Entschluss beider Hochschulen, dieses Experiment im kommenden Frühling nicht nur zu wiederholen, sondern weiter anzureichern. Neu werden auch Studierende der Hochschule für Musik teilnehmen. Während die einen ihre musikalische Expertise in die Waagschale werfen können, sollen die Studierenden der Architektur die Musiker und Musikerinnen für die Welt der Architektur zu begeistern versuchen. Im Zentrum des Interesses stehen dabei Materialität, Akustik, Modulierbarkeit, Notationsmöglichkeiten, aber auch performative Anwendungsszenarien im Raum.

Zusammen mit Christian Dierstein, Professor für Schlagzeug und neue Kammermusik, sowie Michel Roth, Professor für Komposition und Musiktheorie, werden wir uns auf einen Tanz auf dem Eis einlassen, in der Hoffnung, dass die Studierenden beider Hochschulen es Frédéric Chopin gleichtun und sich mit gespitzten Ohren und geschärften Augen sowohl vom Schall als auch vom Raum inspirieren lassen.

 

Entwurf und Instrumentenbau

Silvan Gerber, Olivier Felber, Allen Buess, Jonathan Allemann, Florian Meier, Benedikt Umbricht, Raphael Konrad, Cécile Marthaler, Noemi Luder, Simon Thorin, Maxime Schneider, Lukas Schällibaum, Wahlid Rahmany, Luca Peter, Michel Gerber, Fabian Hänseler, Tim Bögli, Filiz Boran, Milena Stanojevic, Jana Röscher, Selin Berisha, Daniela Weber, Denis Steiner, Isabel Schildknecht, Nicola Meier, Santiago Lempérière, Elena Rodriguez Vives, Théophile Ischer, Nesrin Asma, Urs Schmidt, Lucien Zenners, Jérôme Stocker, Murat Sagir, Moritz Wick, Lola Wegenstein, Joao Pedro Rodrigues, Valerio Dorn, Yunus Bogazliyanlioglu, Auri Teinilä, Maximilian Bächli, Manuel Scherrer, Max Rüfli

 

Inputs Musik und Akustik

Michel Roth, Martin Lienhard

Noisy Lady
Knietarre
Maori
Multidrum
Iron Maden
String
IGU
Ent
Ferro Filum
Bender