Aus dem Leben eines Nahrungsmittels
Nahrung – Ort – Architektur
Inspiriert vom Jahresthema ‹Feed the City – Architekturen für zukunftsfähige Ernährungssysteme› starten wir am ersten Tag mit einer auf ein Minimum reduzierten Markierung eines Ortes. Gemeinsam fügen wir eine riesige Picknickdecke zusammen, auf der das gesamte Semester Platz hat und die die symbolische Basis für unsere gemeinsame Arbeit bilden soll. Gleich am ersten Tag geht es darum, sich in einer grossen Gruppe zu organisieren, zu kooperieren und gemeinsam einen gestalterischen Ansatz zu finden.
Der erste Übungsblock beginnt mit einem Lebensmittel. Dieses Lebensmittel wird untersucht und sein Lebensweg analysiert. Es geht darum zu verstehen, woher es kommt, wie es angebaut oder verarbeitet wird, wie es konsumiert wird und wie die Reste entsorgt oder weiterverarbeitet werden. Dabei interessieren uns vor allem die räumlichen Komponenten, die verschiedenen Orte und Räume, die die Lebensmittel auf ihrem Lebensweg passieren. Wir begreifen und dokumentieren, welche räumlichen Auswirkungen unser Konsumverhalten auf alle Stationen des Nahrungsmittelkreislaufs und der Wertschöpfungskette hat.
Danach lernen wir den Ort unserer Intervention kennen, den Gemeinschaftsgarten Landhof im Wettsteinquartier, wo Obst und Gemüse angebaut, fermentiert, gelagert, verteilt und kompostiert wird. Dort veranstalten wir als Auftakt ein grosses gemeinsames Picknick, bei dem die untersuchten Lebensmittel verzehrt werden. Im Anschluss geht es darum, die Qualitäten und Mängel des Ortes zu erkennen und den Gemeinschaftsgarten mit allen Sinnen zu erfahren.
Dafür werden wir 24 Stunden im Garten sein und, gleich der Funktionsweise eines Seismografs, den Ort beobachten, analysieren und dokumentieren, indem wir genau hinsehen, fühlen, hören, riechen und auch schmecken. Die gesammelten Beobachtungen werden in einer multisensorischen Darstellung zusammengeführt. Gleichzeitig wird der Garten vermessen und ein Lageplan erstellt, auf dem Pflanzen, Infrastrukturen und andere Elemente eingezeichnet sind, die der Bewirtschaftung und der Kompostierung von Lebensmitteln dienen.
In den Gartenplan werden nun erste Räumlinge gesetzt. Diese entstehen in der Auseinandersetzung und Bearbeitung mit jeweils einem zugeordneten Baustoff der Primärkonstruktion. Wir lernen die gestalterischen und konstruktiven Eigenschaften des Materials kennen sowie den jeweiligen Lebenszyklus, von der Rohstoffgewinnung, der Herstellung und Verarbeitung, zu Transport und Nutzung bis zum Recycling, bzw. zur Frage der Kreislauffähigkeit. Wir betrachten den ökologischen Fussabdruck und stellen einfache Berechnungen an, um die Materialien miteinander zu vergleichen. Wir benutzen unsere Hände, um die Haptik der Materialien zu begreifen und testen verschiedene Werkzeuge und Bearbeitungsmethoden, um dem Material eine neue Form zu geben. Ziel ist es, eine Nisthilfe für die Kleinstbewohner des Gartens zu entwerfen. Die erste Zwischenpräsentation findet vor Ort statt, wo wir die Nisthilfe-Skultpuren begehen und die Beziehung von gebautem und natürlichem Lebensraum diskutieren.
Materialgerechte Konstruktionen
Im zweiten Block beschäftigen sich alle Studierenden mit einer Funktion, die aktuell im Gemeinschaftsgarten benötigt wird. Dies kann ein Erdkeller, eine Zisterne mit Bewässerungssystem, ein Gewächshaus, eine Küche zum Fermentieren oder eine Kompostheizung sein. In den folgenden drei Wochenübungen lernen wir die Massiv- und Filigranbauweise kennen und konstruieren die zuvor beschriebenen Funktionen in jeweils drei unterschiedlichen Prinzipien. Dazu ordnen wir die untersuchten Materialien in solche ein, die als Masse verarbeitet werden (Recyclingbeton, Stampflehm, Hanfkalk, C02-armer Beton, selbstverdichtender Beton, etc.), die als Module eingesetzt werden (Lehmvollstein, Klinker, Strohballen, Kalkstein, Kork, Kalksandstein, Porenbeton, Planziegel, etc.), oder die man als Stäbe einsetzt (Pappe, Bambus, Stahl, Vollholz, Brettschichtholz, Aluminium, etc.). Wir untersuchen dabei Positiv- und Negativraum, experimentieren mit den Prinzipien des Mauerverbandes und lernen Gesetzmässigkeiten des Fügens von stabförmigen Elemente kennen. Welches Material wo sinnvoll eingesetzt wird, hängt von der jeweiligen Nutzungsidee ab.
Das Haus im Nahrungsmittelkreislauf
Im letzten Block wird in Teams aus den verschiedenen Funktionen eine Nutzungseinheit geschaffen, ein ungedämmtes Infrastrukturgebäude, das alle für den Gemeinschaftsgarten notwendigen Nutzungen aufnimmt. Ziel ist, die Materialien entsprechend ihrer Eignung einzusetzen und ein autark funktionierendes Haus zu entwerfen. Das Gebäude soll nicht nur dem Gemeinschaftsgarten dienen, sondern auch die Nahrungskreisläufe veranschaulichen, sorgsam mit den Ressourcen Wasser und Boden umgehen und sich behutsam in den umgebenden Garten einfügen. Bei der Projektentwicklung konzentrieren wir uns zudem auf die Kräfte, die unsere Konstruktionen aufnehmen und in Fundamente und Boden ableiten müssen, sowie auf die konstruktionsbestimmenden, physikalischen Einflüsse von Wasser, Temperatur und Sonne. In aufeinander abgestimmten Übungen und Vorlesungen werden so die wesentlichen Grundlagen der architektonischen und konstruktiven Raumbildung vermittelt. Die Studierenden erarbeiten sich ein breites Repertoire an Entwurfswerkzeugen und -methoden und lernen, wie ein Gebäude Teil eines ökologischen Kreislaufs wird und wie lokale Gegebenheiten sinnvoll in den Entwurf integriert werden können. Dabei werden die Zusammenhänge von Gestalt, Konstruktion, Material und Funktion in einem kontinuierlichen Diskurs im Atelier mit Mitstudierenden und Lehrenden analysiert, diskutiert und interpretiert.